Chaos Erde

besuchen und sich anzusehen, wie jemand namens Dr. W. G. Grace (ein Bild zeigte ihn mit zottigem Vollbart) hundert Punkte gegen ein Team aus Altnordaustralien gewann. Ein paar Schritte weiter spielte eine Cockney-Göre allein Himmel und Hölle; ein zweites Mädchen bemalte den Gehweg mit verschiedenfarbener Kreide und hatte neben sich, für den Fall, daß ein Passant eine kleine Spende zu geben beabsichtigte, ein Instrument der Sorte liegen, wie Mieze es verwendet hatte, um per Data-Kontakt Quaddels Kreditwürdigkeit zu überprüfen. All das geschah zur vollkommenen Verwirrung diverser, nicht nur Alien, sondern auch menschlicher Touristen.
    Am erstaunlichsten für Quaddel war jedoch, wieviel von allem, was er erlebte und rundherum sah, er begriff, seit er die rosa Pille geschluckt hatte.
    Hinter Tempel Bar verschob die Szenerie sich allmählich ins shakespearsche Milieu. Statt der Blaskapelle spielten Flötisten; da und dort legten Plakate und Ausrufer den Touristen nahe, im Globe Theatre eine Vorstellung von Meister Williams Was ihr wollt und im Curtain eine Darbietung von Meister John Fords Das gebrochene Herz zu besuchen, letzteres veranstaltet inklusive pentasensorischer Identifikation. (Um was es sich dabei handelte, brauchte Quaddel sich zum Glück nicht mehr zu fragen.) Überall roch es nach angebranntem Fleisch, ein durchdringender Gestank, als dessen Ursache Nixys HyperMemo das gute, alte Roastbeef des guten, alten Englands angab.
    »Wahrscheinlich ist es authentisch«, meinte Nixy, obwohl man ihr Bedenken anmerkte, rieb sich wie in Erwartung neuer Kopfschmerzen die Schläfe. »Aber für mich ist das nichts als Geschmacklosigkeit.«
    »Wahrscheinlicher wohl nicht«, brummte Quaddel. »Du brauchst zum Vergleich nur an meinen Hamburger zu denken.«
    Über welchen armseligen Scherz Nixy zu seiner Entgeisterung tatsächlich lachte.
     
    Die Droschke hielt an. »Do steigens besser aus, Herrschaften«, rief der Kutscher vom Bock herab. »Nu missens a Stuckerl laufen.«
    Mit der Peitsche deutete er auf die vorausliegende Straße. Ein sieben oder acht Meter hohes, starres, orangerotes Gebilde, beinahe so breit wie die Straße, versperrte den Weg. Ein Polizist in viktorianischer Uniform und ein Stadtwächter in Wams und enger Hose – ein ähnliches Paar wie Gilbert und PC 49 – schlugen beharrlich gegen die Seite des Objekts, ersterer mit einem Knüppel, letzterer mit dem Schwertgriff.
    »Sapperment, des dirfts net geba«, murrte der Kutscher mißgelaunt. »Do mißt a Gsetz her, sag i.«
    Quaddel mußte eingestehen, daß er nicht wußte, mit was sie es zu tun hatten.
    »Wie kann des a grad so do Halt mocha, himmelsakra?!« schimpfte der Kutscher. »So an Hallodri denkt sich, er kann glei ratzen wo un wanns ihm behagen tat, als mißt er net a Hotel bezahln wie jeder andre, un uns arme Leit fehlts Göld fürs elend Sauleben. Is des net a Schand?!«
    »Halt machen?« Quaddel blinzelte. »Ratzen?«
    »Freili! Bei den Grenzjägern sollten’s gar kein Pardon kennen, wann so a Schlawiner angschleimt kimmt.«
    »Dann ist das da vorn«, fragte Quaddel langsam, »so was wie… ein Zelt?«
    »Haben Sie so ein Ding noch nia gsehen? Do kinnens von Glück reden! Zamglegt paßt’s in die Hostoschen, aber so steht’s allweil auf d’ Straßen im Weg rum – i bitt Sie, des g’hört doch verboten!«
    »Man kann es in die Tasche stecken?«
    »Na freili, i sag’s doch. Machens sich also auf d’ Schuh, oder net?«
    Nixy, die vor sich hinlachte, zupfte an Quaddels Ärmel.
    »Es ist ein Alcoholaner«, erklärte sie halblaut. »Diese Spezies gilt als höchst eigenwillig. Wenn ein Alcoholaner Rast machen will, macht er Rast. Komm, wir gehen den Rest der Strecke zu Fuß.«
    Gerade als sie und Quaddel sich aus der Droschke schwangen, entstand in der Seite des orangenen Gebildes ruckartig eine Öffnung, in der ein irgendwie wütend aussehender Kopf erschien und zu brüllen anfing. Es stiftete bei Quaddel keine unerhebliche Verwirrung, als er erkannte, daß er in das zornige Gesicht einer Plastikmaske blickte; welcher Teil welcher Art von Anatomie sich dahinter verbarg, konnte er sich wegen der Übersichtlichkeit nicht einmal im entferntesten ausmalen. Anscheinend hatten die Hersteller der Informationspillen nicht damit gerechnet, daß er jemals einem Alcoholaner begegnete.
    Der Polizist und sein Kollege reagierten mit entsprechender Härte. Während ungeheuerlichen Geschreis und Gezeters huschten Nixy und Quaddel hinter den