Chaosprinz Band 2
an.
»Im Grunde nichts«, gibt Alex gelassen zu. »Bis auf die Tatsache, dass ich hier in der Wohnung seiner Freunde sitze, mich von wildfremden Leuten anschnauzen lasse – und glaub mir, das kommt nicht häufig vor – und die Brote esse, die er mir die ganze Zeit über schmiert.« Und mit diesen Worten dreht er sich zu mir um.
»Bambi, lass das bitte. Wie soll ich die denn alle schaffen?« Er deutet auf seine drei Brote und das vierte, das ich gerade mit Leberwurst bestreiche. Ich bin perplex, verwirrt und gerührt.
»Ich dachte nur… ich wollte«, stammle ich leise. »Du hast heute Morgen kaum was gegessen und gestern bist du den ganzen Abend weg gewesen und auch meine Spaghetti…«
Er lacht. »Deine Spaghetti habe ich leer gegessen«, verteidigt er sich grinsend.
»Aber geschmeckt haben sie dir nicht.«
»Stimmt.«
Wir sehen uns in die Augen. Mein Herz schlägt. Marc und Jens beobachten uns schweigend. Es dauert ein bisschen, bis ich mir ihrer Anwesenheit wieder so richtig bewusst werde. Mit roten Wangen und einem dümmlichen Grinsen auf den Lippen suche ich nach Marcs Blick. Ich weiß nicht, was ich hoffe, darin zu erkennen. Vielleicht Mitgefühl, Freude, Verständnis oder Einsehen. Keine Ahnung.
Als sich unsere Blicke treffen, ist nicht die eine oder andere der eben genannten Emotionen zu erkennen, sondern alles zusammen.
***
Die Freude über diese positive Wendung hat mich fast vergessen lassen, wie wütend ich auf Marc wegen der Sache mit Jens war – und immer noch bin.
»Ich hoffe sehr, dass Manu ihm verzeihen wird«, nuschle ich an Alex gewandt, als wir wieder im Auto sitzen und auf dem Weg nach Hause sind.
»Wird Manu es denn erfahren?«
»Ich denke schon«, seufze ich leise.
»Aber im Moment sind sie doch gar nicht richtig zusammen. Es ist kein richtiger Seitensprung.«
»Na, ich fürchte, das sieht Manu anders. Aber am allerschlimmsten ist die Tatsache, dass Jens dieser Seitensprung war.« Ich bin immer noch wütend auf ihn – und auf sein dämliches, selbstgefälliges Grinsen. »Er kennt die beiden, seit sie Kinder sind, er weiß, wie sehr sie sich lieben, er ist mit Manu befreundet und dann tut er so was. Nur wegen Sex!« Ich schnaube abfällig.
»Glaubst du, Jens hat nur mit Marc geschlafen, weil er Bock auf Sex hatte?« Alex klingt skeptisch.
»Hm, Marc hat es einen Freundschaftsdienst genannt«, murmle ich. »Sex unter Freunden, um einander zu trösten – das ist doch dämlich, oder?«
»Kommt drauf an.«
Ich drehe den Kopf in seine Richtung.
»Wie meinst du das?«, frage ich alarmiert. »Sag bloß, du hast so etwas auch schon mal gemacht – vielleicht sogar mit Tom?«
Alex fängt an, zu lachen. »Blödsinn!« Er schüttelt den Kopf. »Ich habe Tom bei seinem zehnten Kindergeburtstag dabei zugesehen, wie er ein halbes Kilo Lakritze gefressen und danach wie ein Irrer gekotzt hat – schwarze Kotze…«
»Igitt, Alex, hör auf!« Ich schüttle mich.
»Ich könnte nie was mit Tom haben. Wir kennen uns zu lange und zu gut.«
Irgendwie bin ich gerade sehr, sehr erleichtert.
»Aber Jens und Marc scheinen diese Hemmungen nicht zu haben«, stelle ich bitter fest.
»Das glaube ich nicht«, meint Alex ernst. »Ich denke, Jens ist sehr in Marc verliebt.«
Überrascht sehe ich ihn an. »Ist das dein Ernst?«
»Ja.«
»Wie kommst du darauf?«
»Hm, keine Ahnung. Vielleicht war es die Art, wie er ihn immer angelächelt hat oder wie seine Augen gestrahlt haben. Ich weiß es nicht. Du kennst sie besser…«
Nein, im Moment habe ich das Gefühl die beiden überhaupt nicht mehr zu kennen. Jens ist in Marc verliebt? Kann das wirklich sein?
Plötzlich machen viele Dinge einen Sinn… Scheiße, das bedeutet ja, dass wir noch viel mehr Probleme haben, als ich dachte. Auf einmal hält der Wagen. Ich drehe den Kopf, um Alex besser anschauen zu können.
»Was ist denn?«
»Wir sind da.«
Richtig. Wir sind da. Wir sind wieder zu Hause.
Alex ist blass.
»Dann mal los«, flüstere ich und öffne die Beifahrertür. »Hast du dir überlegt, was wir sagen wollen?«, frage ich Alex vorsichtig.
»Nein«, antwortet er und dabei bin ich mir gar nicht mal so sicher, ob er meine Frage auch wirklich richtig gehört hat. Er wirkt irgendwie ein bisschen weggetreten…
Wie bei einem Trauermarsch schleichen wir über den Hof. Die große, schöne Eingangstür scheint einfach nicht näher kommen zu wollen. Oder vielleicht sind es ja auch wir, die am liebsten wegbleiben möchten. Als wir die Tür
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