Chaosprinz Band 2
beschlossen, nichts zu überstürzen. Sie machen kleine Schritte. Eines nach dem anderen.
Getrennt zu wohnen, sei keine schlechte Idee, meinen sie. So hätten sie die Möglichkeit, sich über ihre Beziehung Gedanken zu machen. Ich halte ihre Entscheidung für vernünftig.
Weihnachten haben wir aber trotzdem als normale Familie verbracht.
Nun, zumindest teilweise normal … Unsere Familie entspricht ja nicht wirklich dem üblichen Vater-Mutter-Kind-Schema. Bei uns herrscht die etwas chaotische Patchwork-Philosophie. Ma feierte natürlich mit uns und auch Markus war am Heiligen Abend zum Essen eingeladen.
Und so saßen wir alle um den riesigen – von Ma geschmückten und dementsprechend extravaganten – Tannenbaum herum. Vielleicht entsprach unsere Gemeinschaft keiner Norm, doch ich kann hier und jetzt behaupten, dass alle Anwesenden an diesem Abend mit einem guten Gefühl in der Brust zu Bett gingen. Einem guten Gefühl… und dem Wissen, dass man geliebt wird…
Doch schon drei Tage später bekam meine kleine, glückliche Welt ihre ersten Dämpfer. Ma flog zurück nach Äthiopien. Selbstverständlich verstand ich ihre Entscheidung. Sie vermisste Gordon und freute sich auf ihren Alltag in Afrika. Und um die armen Kinder würde sich ja auch niemand kümmern, wenn sie es nicht macht. Außerdem, so behauptete sie, könne sie nun mit ruhigem Gewissen abhauen, da sie sich sicher sein könnte, dass ich es in München schon irgendwie schaffen würde.
Ich war sehr traurig. Wir alle waren traurig. Der Abschied tat weh und ich wollte sie nicht gehen lassen. Am liebsten würde ich die Menschen, die ich liebe, immer um mich herum haben.
Die Tatsache, dass ich auch Alex wenige Tage später verlieren sollte, machte die Trennung von Ma umso schmerzhafter. Alex gab sich große Mühe beim Trösten, doch erinnerte mich jedes seiner gut gemeinten Worte daran, dass er bald nicht mehr bei mir sein würde.
Ich bat ihn, die Klappe zu halten und mich in den Arm zu nehmen. Er tat es. Oft lagen wir stundenlang in meinem Zimmer, auf Noresund und hielten uns im Arm. Oder wir schliefen miteinander.
Ich habe mir jedes Mal gewünscht, dass es nicht aufhören sollte. Niemals. Der Augenblick sollte stehen bleiben und für immer anhalten. Doch er tat es nicht. Die Zeit bewegte sich in unbarmherzig großen Schritten voran. Sie hatte es sehr eilig. Viel zu eilig.
Heute ist Silvester. In zwei Tagen geht Alex. Wieder verkrampft sich mein Magen. Ich starre aus dem Autofenster.
»Ist auch wirklich alles okay?« Er klingt besorgt.
»Ja.« Ich klinge ungeduldig.
»Du siehst nur so…«
»…scheiße aus?«
»Unglücklich, wollte ich sagen.« Er schaut nach vorne.
»Hm… Warum bloß…«, murmle ich.
»Bambi...« Stöhnend verdreht er die Augen. Wir haben dieses Thema schon gehabt. Viele, viele tausend Male. Und noch mehr. »Du weißt doch genau –«
»Sind wir denn bald da?« Tom beugt sich nach vorne und streckt seinen Kopf zwischen unseren beiden Sitzen hindurch.
»Ja, gleich«, murre ich.
»Wann gleich?«
»Gleich halt…«
»Nicht sehr informativ.«
»Du nervst!«
Beleidigt lässt sich Tom nach hinten fallen, nicht ohne vorher noch einmal ordentlich an den Rückenlehnen unserer Sitze herumzurütteln.
Wir sind auf dem Weg zu Manu und Marc. Die beiden geben eine Silvesterparty, zu der Alex und ich eingeladen sind. Um Toms Anwesenheit haben sie nicht explizit gebeten, aber das ist ihm natürlich total egal. Er kommt trotzdem mit. Wahrscheinlich würde er uns sogar folgen, wenn wir zum Krabbenfischen mit einem alten Kutter auf die stürmische Nordsee hinausschippern würden. Er würde uns mit seinem kleinen, knallroten Gummiboot hinterher paddeln.
Ich bin traurig, weil Alex geht. Ich habe auch geweint. Ich habe ihn gebeten zu bleiben. Ich habe sogar geflucht und geschimpft, aber all das ist überhaupt nicht mit Toms Reaktion vergleichbar, als er von Alex' Plänen erfahren hat. Im Vergleich zu Tom könnte man mein Verhalten sogar als desinteressiert und äußerst rational bezeichnen.
Er flippte total aus. Alex bat mich um moralische Unterstützung und so saßen wir vor zwei Wochen zu dritt in Alex' Zimmer. Alex und ich auf dem Sofa und Tom uns gegenüber auf einem Sessel. Er schien unsicher zu sein, ob ihn unsere ernsten Mienen amüsieren oder verängstigen sollten.
»Egal, was ihr mir vorwerfen wollt, ich war's nicht«, sagte er unsicher grinsend. »Und wenn doch, dann tut es mir leid.«
»Du hast nichts gemacht…«, murmelte
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