Charlston Girl
dass mir die anderen Fahrgäste im Wagen aufmerksam zuhören.
Ich stampfe zu einem Sitz in der Ecke, gefolgt von Sadie. Als sie Luft holt, um ihren nächsten Sermon loszulassen, nehme ich meinen iPod und setze ihn auf. Endlich Ruhe.
Perfekt! Darauf hätte ich schon viel früher kommen sollen.
Ich habe Josh vorgeschlagen, dass wir uns im Bistro Martin treffen, um alle Erinnerungen an diese blöde Marie auszumerzen. Als ich meinen Mantel abgebe, sehe ich ihn, wie er dort schon am Tisch sitzt, und ich spüre Erleichterung, vermischt mit dem Drang, mich zu rechtfertigen.
»Siehst du?«, raune ich Sadie unwillkürlich zu. »Er ist vor mir hier. Sag mir doch noch mal, dass ich ihm egal bin!«
»Er weiß nicht, was er will.« Abfällig schüttelt sie den Kopf. »Er ist wie eine Bauchrednerpuppe. Ich habe ihm gesagt, was er sagen soll. Ich habe ihm gesagt, was er denken soll.«
Sie ist eine solche Angeberin.
»Hör mal zu!«, sage ich böse. »Du bist nicht so mächtig, wie du glaubst, okay? Josh hat einen ziemlich starken Willen, wenn du es genau wissen willst.«
»Darling, ich könnte ihn dazu bringen, auf dem Tisch zu tanzen und ›Backe, backe Kuchen‹ zu singen, wenn ich wollte!«, erwidert sie spöttisch. »Vielleicht tue ich es sogar! Dann wirst du schon sehen!«
Es hat keinen Sinn, mit ihr zu streiten. Zielstrebig marschiere ich durch sie hindurch, ignoriere ihren Protest und steuere Josh an. Er schiebt seinen Stuhl zurück, und das Licht fällt auf sein Haar. Seine Augen sind sanft und blau wie eh und je. Als ich bei ihm ankomme, perlt etwas in mir hoch. Glückseligkeit vielleicht. Oder Liebe. Oder Triumph. Wohl eine Mischung.
Ich breite die Arme aus, um ihn an mich zu drücken, und seine Lippen berühren meine, und ich denke nur noch »Jaaaa!« Nach einer Minute etwa will er sich setzen, doch ich halte ihn zurück und küsse ihn noch leidenschaftlicher. Ich werde Sadie zeigen, wer hier verliebt ist und wer nicht.
Schließlich macht er sich los, und wir setzen uns. Ich nehme mein Glas Weißwein, das Josh bereits für mich bestellt hat.
»Also...«, sage ich etwas atemlos. »Da wären wir.«
»Da wären wir.« Josh nickt.
»Auf uns! Ist es nicht wundervoll, dass wir wieder zusammen sind? In unserem Lieblingsrestaurant? Ich werde dieses Restaurant immer mit dir verbinden«, füge ich etwas zu pointiert hinzu. »Mit niemand anderem. Könnte ich gar nicht.«
Josh ist so anständig, etwas verlegen zu wirken. »Wie läuft die Arbeit?«, fragt er eilig.
»Gut.« Ich seufze. »Na ja, wenn ich ehrlich sein soll... nicht so gut. Natalie hat sich nach Goa abgesetzt und mich mit der Firma allein gelassen. Es ist ein ziemlicher Albtraum.«
»Wirklich?«, sagt Josh. »Das ist ja nicht so schön.« Er nimmt die Speisekarte und fängt an zu lesen, als sei das Thema damit beendet, und ich spüre den spitzen Stachel der Enttäuschung. Ich hatte etwas mehr Reaktion erwartet. Obwohl mir dann einfällt, dass Josh sich nur selten über etwas aufregt. Er ist immer so entspannt. Das mag ich doch an ihm, sage ich mir eilig: seine angenehm entspannte Art. Er ist nie gestresst. Er hat sich immer total im Griff. Er ist nie gereizt. Sein Lebensmotto ist: »Wird schon werden.« Was so was von vernünftig ist!
»Wir sollten irgendwann mal nach Goa fahren!« Ich wechsle das Thema, und Joshs Stirn glättet sich.
»Unbedingt. Es soll fantastisch sein. Weißt du, ich könnte mir gut mal eine Auszeit nehmen. Vielleicht ein halbes Jahr oder so.«
»Wir könnten es zusammen machen!«, sage ich fröhlich. »Wir könnten beide unsere Jobs an den Nagel hängen, herumreisen von Mumbai aus...«
»Fang nicht schon wieder an, alles durchzuplanen! «, fahrt er mich plötzlich an. »Eng mich nicht so ein! Gott im Himmel!«
Erschrocken starre ich ihn an. »Josh?«
»Entschuldige.« Er scheint sich selbst erschrocken zu haben. »Entschuldige.«
»Stimmt irgendwas nicht?«
»Nein. Jedenfalls...« Mit beiden Händen reibt er an seinem Kopf herum, dann blickt er auf, verwirrt. »Ich weiß, es ist toll, dass wir wieder zusammen sind. Ich weiß, dass ich es selbst wollte. Aber manchmal blitzt es in mir auf und ich frage mich... was machen wir hier eigentlich?«
»Siehst du?« Sadies krächzende Stimme über dem Tisch lässt mich zusammenzucken. Wie ein Racheengel schwebt sie über uns.
Konzentrier dich. Guck nicht hin. Tu so, als wäre sie nichts weiter als ein Lampenschirm.
»Ich... ich glaube, das ist ziemlich normal«, sage ich und sehe
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