Charons Klaue
Als er sich umdrehte, sah er Ambergris.
»Nein. Ich habe es euch gleich gesagt, und wenn du dich jetzt einmischst, bringst du uns nur alle um«, warnte Ambergris. »Die Leute sehen alle zu!«
Glorfathel schaute sich um. Tatsächlich standen die meisten Fensterläden im Umkreis offen, zumindest ein wenig.
»Wie ich schon sagte«, ergänzte die Zwergin und zeigte auf eine Straßenecke, wo sich einige Stadtbewohner versammelt hatten. Sie waren bewaffnet. »Sie wittern ihre Freiheit und wollen zugreifen.«
»Das wird Draygo Quick nicht gefallen.«
»Es gefällt ihm noch weniger, wenn du die halbe Mannschaft verlierst. Fürst Alegni hat sein Schicksal immer selbst bestimmt. Er wollte diesen Kampf, und er hat ihn bekommen.« Die Zwergin sah, wie der Panther auf Alegni zuschnellte. »Oje!«, stöhnte sie. »Ja, er hat ihn bekommen!«
Glorfathel betrachtete seine Cavus-Dun-Einheit und nickte.
Artemis Entreri richtete sich sofort wieder auf. Seine Schmerzen waren verflogen, denn die Zeit der Sklaverei war vorbei. Taumelnd wich er vor dem Nebel zurück, in dem Alegni und Guenhwyvar sich aufgelöst hatten, versuchte, alles zu begreifen und seine Fassung zurückzugewinnen.
Dahlia hatte weniger Skrupel. Ohne auf ihre Verletzungen zu achten, warf sie sich auf die Stelle, wo eben noch Alegni gestanden hatte, schlug in hilfloser Wut auf die Luft ein und brüllte dem Tiefling nach: »Stirb!«
Der Schrei »Guenhwyvar!« von der anderen Seite der Brücke ließ Entreri sich umdrehen. Drizzt stolperte auf ihn zu, in einer Hand die Pantherfigur.
Entreri bekam einen Schreck. Wollte Drizzt sich nach seinem Verrat an ihm rächen? Doch der Gedanke an den Drow hielt den Mann nicht lange auf, denn wichtiger war das, was hinter Drizzt geschah.
»Dahlia«, sagte er ernüchtert. »Dahlia, es ist noch nicht vorbei.«
Auf dem Platz hinter der Brücke stand Effron, dessen verrenkter Körper vor Wut bebte. Und neben ihm waren mindestens hundert Shadovar aufmarschiert.
»Dahlia!«, sagte er drängender und riss sie damit aus ihrem Wutanfall.
»Ich werde jeden Einzelnen von ihnen töten«, zischte sie durch die Zähne.
»Ruf dein Einhorn, Drow«, sagte Entreri und zog die Figur heraus, die ihm selbst den Nachtmahr herbeirufen würde. Als Drizzt langsamer wurde und ihn anstarrte, deutete er nach hinten.
Drizzt sah sich um. Dann warf er Entreri einen Blick zu und zeigte ihm die Onyxfigur. In diesem Augenblick wirkte Drizzt wirklich gebrochen, denn eine solche Hoffnungslosigkeit passte nicht zu dem Gleichmut, den er normalerweise an den Tag legte.
»Wir müssen verschwinden«, mahnte Entreri.
Drizzt rührte sich nicht, sondern sah nur die kleine Statue an.
»Später«, versprach Entreri.
Da nickte Drizzt und zog seine Pfeife heraus. Vorher aber fragte er noch: »Das Schwert?« und lief zum Geländer.
»Nimm Dahlia mit«, wies er Entreri an. »Wir treffen uns im Wald von Niewinter.«
Und damit eilte Drizzt zur anderen Seite der Brücke, wo er über das Geländer sprang und verschwand.
»Ich kann auf mich selbst aufpassen«, fluchte Dahlia, warf ihren Umhang über und verwandelte sich in einen großen Raben, der den nahenden Shadovar herausfordernd zukrächzte.
»Flieg einfach los, du Närrin«, sagte Entreri, warf seine Figur und rief damit den Nachtmahr. Er hob sein Schwert auf und sprang auf das Höllenross. Instinktiv griff er auch nach seinem Dolch, bevor er sich zufrieden an den letzten Wurf erinnerte. Dieser Dolch war mit Alegni ins Schattenreich verschwunden, in Erzgo Alegnis Bauch.
»Vielleicht solltest du auf mir reiten«, sagte Dahlia, deren Stimme als Vogel schärfer klang. Bei diesen Worten zeigte sie auf das andere Ende der Brücke und die dort versammelten Shadovar. »Offenbar hat Erzgo Alegni doch uns erwischt, nicht wir ihn.«
Diese Bemerkung ignorierte Artemis Entreri, denn er prüfte bereits, was er noch tun konnte. Er konnte problemlos in den Fluss flüchten. Der Nachtmahr würde den Sturz abfedern wie damals, als sie von Sylora Salms Baumturm gesprungen waren.
Natürlich konnte er auch mit Dahlia abziehen – aber würde die tatsächlich davonfliegen? Ihre Wut grenzte an Wahnsinn. Wie sie sich auf Alegni geworfen hatte, der Hass in jedem ihrer Worte … hier war etwas anderes im Spiel, eine tiefe Narbe, die Entreri noch nicht begriffen hatte.
Aber eine, die ihm nur allzu bekannt vorkam.
Er wollte sein Tier bereits fortschicken und mit Dahlia abfliegen, als ihm die Entscheidung abgenommen wurde, denn auf dem
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