Chasm City
du dir auch meine Version anhören?«
»Ich kann es kaum erwarten.«
Zebra holte tief Atem und betrachtete interessiert die teigige Deckenfläche, dann kehrte ihr Blick zu mir zurück. Ich hatte das Gefühl, das sie alles, was sie jetzt sagen wollte, sorgsam einstudiert hatte.
»Ich habe dich vor Waverlys Jägerrotte gerettet«, sagte Zebra. »Und mach dir nicht vor, du wärst da auch alleine lebend herausgekommen, Tanner. Du bist gut – das sieht man –, aber so gut ist niemand.«
»Vielleicht kennst du mich nur noch nicht gut genug.«
»Ich weiß nicht, ob ich dich noch besser kennen lernen möchte. Darf ich fortfahren?«
»Ich bin ganz Ohr.«
»Du hast mich bestohlen. Du hast nicht nur Kleider und Geld genommen, sondern eine Waffe, von der du eigentlich gar nicht hättest wissen dürfen, wie sie funktioniert. Von der Gondel will ich gar nicht sprechen. Du hättest bei mir bleiben können, bis das Implantat zu senden aufhörte, aber aus irgendeinem Grund glaubtest du, auf dich allein gestellt besser zu fahren.«
Ich zuckte die Achseln. »Immerhin bin ich noch am Leben.«
»Bis auf Weiteres«, räumte Zebra ein. »Aber Waverly ist tot, und er war einer unserer wenigen Verbündeten im Zentrum der Bewegung. Ich weiß, dass du ihn getötet hast, Tanner – deine Spur war so heiß, als hättest du bei jedem Schritt Plutonium verstreut.« Sie schlenderte durch den Raum, ihre Pfennigabsätze klickten im Takt wie zwei Metronome. »Das war sehr bedauerlich.«
»Waverly ist mir einfach in die Schusslinie gelaufen. Es ist nicht so, als hätte der dreckige Sadist auf meiner Wunschliste gestanden.«
»Warum hast du nicht abgewartet?«
»Ich hatte etwas zu erledigen.«
»Reivich, richtig? Wahrscheinlich möchtest du für dein Leben gern wissen, woher ich den Namen kenne und woher ich weiß, was er für dich bedeutet.«
»Ich dachte, das willst du mir gerade erzählen.«
»Nachdem du meine Gondel zu Schrott gefahren hattest«, sagte Zebra, »bist du im Grand Central Terminal aufgetaucht. Von dort hast du mich angerufen.«
»Weiter.«
»Ich war neugierig, Tanner. Ich hatte inzwischen von Waverlys Tod erfahren und wusste nicht, was ich davon halten sollte. Eigentlich hättest du der Tote sein müssen – trotz des Gewehrs, das du mir gestohlen hattest. Und so fragte ich mich, wen ich da bei mir aufgenommen hatte. Ich musste es herausfinden.« Sie blieb stehen. Das Klicken der Absätze verstummte. »Es war nicht weiter schwierig. Du interessiertest dich so lebhaft dafür, wo das Große Spiel in dieser Nacht stattfinden sollte. Also sagte ich es dir. Falls du dort aufkreuzen solltest, wollte ich ebenfalls da sein.«
Ich dachte zurück. Mir schien, als wären seither Hunderte von Stunden vergangen, tatsächlich hatte das Gespräch jedoch erst am Abend jener langen Nacht stattgefunden, die für mich noch immer nicht zu Ende war. »Du warst da, als ich Chanterelle entführte?«
»Damit hatte ich nicht gerechnet.«
»Natürlich nicht – wie solltest du auch?«, sagte ich. »Und was ist nun mit Reivich? Wie kommt er ins Spiel?«
»Über eine gemeinsame Bekannte mit Namen Dominika.« Zebra lächelte. Sie genoss es, mich überrascht zu haben.
»Du warst bei Dominika?«
»Es erschien mir logisch. Ich beauftragte Pransky, dir in den Escher-Turm zu folgen, während ich auf den Basar ging und mit der alten Frau sprach. Ich wusste, dass du das Implantat hattest entfernen lassen. Und da du an diesem Tag auf dem Basar gewesen warst, wusste Dominika mit Sicherheit, wer die Operation durchgeführt hatte, falls sie es nicht selbst gewesen war. Was natürlich der Fall war und die Sache enorm vereinfacht hat.«
»Gibt es eigentlich jemanden in Chasm City, den sie nicht betrogen hat?«
»Irgendwo vielleicht schon, aber das ist nur eine sehr theoretische Möglichkeit. Eigentlich ist Dominika ein ziemlich krasses Beispiel für das zentrale Paradigma unserer Stadt, und das lautet, es gibt nichts und niemanden, der nicht käuflich wäre, vorausgesetzt, der Preis stimmt.«
»Was hat sie dir erzählt?«
»Nur, dass du ein sehr interessanter Mann bist, Tanner, und dass es dir sehr am Herzen lag, einen Herrn namens Argent Reivich ausfindig zu machen. Einen Mann, der erst wenige Tage zuvor im Escher-Turm eingetroffen war. Was für ein Zufall, besonders, da Pransky dich zufällig genau in diesen Teil des Baldachins verfolgt hatte!«
Jetzt hielt der drahtige kleine Sicherheitsexperte die Zeit für gekommen, den Faden aufzunehmen.
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