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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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auch das war nur die halbe Wahrheit.
    Zebra stemmte die Hände in die Hüften. »Und dass du das einem von uns schon früher hättest erzählen können, ist dir gar nicht in den Sinn gekommen?«
    »Bis vor kurzem war es mir selbst nicht klar.«
    »Nein? Ist dir einfach entfallen, wie?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich glaube, Cahuella hat meine – seine – Erinnerungen verändert, um seine eigene Identität zu unterdrücken. Das war für eine gewisse Zeit notwendig, damit er Sky’s Edge verlassen konnte. Seine eigenen Erinnerungen und sein Gesicht hätten ihn sonst überführt. Und wenn ich ›er‹ sage, meine ich eigentlich ›ich‹.«
    Zebra sah mich so skeptisch an, als würde sie den Verdacht nicht los, mich vollkommen falsch eingeschätzt zu haben. »Du glaubst das wirklich, oder?«
    »Ich habe einige Zeit gebraucht, mich damit anzufreunden, das kann ich dir versichern.«
    »Er ist eindeutig übergeschnappt«, sagte Quirrenbach. »Seltsam. Ich hätte nicht gedacht, dass der Anblick einer fetten toten Frau allein genügen würde, um ihn in den Wahnsinn zu treiben.«
    Ich schlug ihn nieder. Es ging ganz schnell; ich gab ihm keinerlei Chance, und da Chanterelle ihn ständig mit ihrer Waffe in Schach hielt, konnte er sich ohnehin nicht wehren. Er rutschte in einer Pfütze aus Sterilisationsflüssigkeit aus und hielt sich schon im Fallen das Kinn.
    Als er auf dem Boden aufschlug, rutschte er in den Schatten der Operationsliege und schrie auf, als er dort etwas berührte.
    Zunächst dachte ich, eine Schlange wäre hinuntergefallen. Doch dann kroch eine Gestalt hervor. Dominikas Junge, Tom.
    Ich streckte ihm die Hand entgegen. »Komm her. Bei uns wird dir nichts geschehen.«
 
    Sie war von demselben Mann getötet worden, der sie schon einmal aufgesucht hatte, um sich nach mir zu erkundigen. Ein Fremdweltler, ja – fast wie du. Tom sagte es anfangs wie nebenbei, dann wiederholte er die Bemerkung in zunehmend misstrauischem Ton immer wieder. Nicht nur fast wie Tanner – sondern genauso wie er.
    »Schon gut«, sagte ich und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Der Mann, der Dominika getötet hat, sieht nur so aus wie ich. Das heißt nicht, dass ich es bin.«
    Tom nickte. »Du reden anders wie er.«
    »Er hat anders gesprochen?«
    »Du reden ziemlich geschwollen, Mister. Der andere Mann – der aussehen wie du – machen nicht so viel Wörter.«
    »Der große Schweiger«, sagte Zebra, zog den Jungen von mir weg und schloss ihn schützend in ihre langen, schlanken Arme. Ich war gerührt. Zum ersten Mal zeigte jemand aus dem Baldachin so etwas wie Mitgefühl für einen Mulch- Geborenen; zum ersten Mal erlebte ich, dass eine der beiden Parteien die andere als menschlich gelten ließ. Natürlich kannte ich Zebras Einstellung – ich wusste, dass sie das Große Spiel für Unrecht hielt –, aber dass sich diese Einstellung in einer so schlichten Geste des Trostes äußerte, war doch ungewohnt. »Dominikas Tod macht uns traurig«, sagte sie. »Du musst uns glauben, dass nicht wir es waren.«
    Tom schniefte. Er war verstört, aber der Schock über Dominikas Tod hatte noch nicht eingesetzt, und so war er noch halbwegs ansprechbar und gern bereit, uns zu helfen. Wenigstens hoffte ich, dass der Schock noch nicht eingesetzt hatte. An die zweite Möglichkeit – dass er nämlich längst immun war gegen diese Art von Schmerz – wollte ich lieber nicht denken. Bei einem Soldaten hätte ich das verkraften können, nicht aber bei einem Kind.
    »War er allein?«, fragte ich. »Man sagte mir, zwei Leute hätten nach mir gesucht; ein Mann und eine Frau. Weißt du, ob das derselbe Mann war?«
    »Derselbe Kerl«, sagte der Junge und drehte den Kopf weg, um Dominikas schwebende Leiche nicht sehen zu müssen. »Auch diesmal nicht allein. Frau wieder bei ihm, aber sehen diesmal nicht so glücklich aus.«
    »Beim ersten Mal hat sie glücklich ausgesehen?«, fragte ich.
    »Nicht glücklich, aber…« Der Junge stockte. Ich sah, dass wir allzu hohe Anforderungen an seinen Wortschatz stellten. »Kann sehen, dass Kerl ihr nicht unheimlich; wie guter Freund. War damals netter – mehr wie du.«
    Das passte. Der erste Besuch bei Dominika war ein Fischzug gewesen; um Informationen über die Stadt zu sammeln und – hoffentlich – zu erfahren, wo er den Mann finden konnte, den er erledigen wollte, ob das nun ich war oder Reivich oder wir alle beide. Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen, Dominika schon damals zu töten, aber er hatte wohl

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