Chasm City
wolltest du diesen Ganzkörperscan, als wir den Meistermischer besuchten? Was hatte es damit auf sich?«
»Ich suchte nach Spuren alter Verletzungen«, sagte ich. »Die beiden Wunden waren etwa gleich alt. Ich hatte gehofft, die eine zu finden und die andere nicht.«
»Besondere Gründe?«
»Reivichs Killer hatten Tanner Mirabel einen Fuß abgeschossen. Ein Fuß lässt sich durch eine organische Prothese ersetzen, oder man kann sich aus eigenem Zellmaterial eine Kopie klonen lassen. In beiden Fällen hätte der neue Fuß jedoch chirurgisch am Stumpf befestigt werden müssen. Nun mag es auf Yellowstone vielleicht Ärzte geben, die eine solche Operation so hinbekommen, dass hinterher nichts mehr davon zu sehen ist. Aber nicht auf Sky’s Edge. Da gäbe es jede Menge mikroskopisch kleiner Narben – Spuren, die einem Meistermischer-Scan bestimmt nicht entgangen wären.«
Zebra nickte. Das leuchtete ihr ein. »So weit mag alles seine Richtigkeit haben. Aber wenn du tatsächlich nicht Tanner bist, woher weißt du dann, dass ihm das überhaupt passiert ist?«
»Weil ich ihm offenbar seine Erinnerungen gestohlen habe.«
Gitta und Cahuella stürzten fast im gleichen Moment zu Boden. Zu hören war von beiden nicht viel. Gitta war – so weit es darauf ankam – in dem Moment gestorben, als der Strahl aus meiner Waffe in ihren Schädel eindrang und ihr Hirngewebe zu Asche verbrannte. Ihr Mund hatte sich noch ein wenig weiter geöffnet, aber sie hatte vermutlich nicht mehr registriert, was ich getan hatte, bevor ihr Verstand die Arbeit einstellte. Ich hoffte – inständig – Gittas buchstäblich letzter Gedanke möge gewesen sein, ich würde jetzt gleich etwas unternehmen, um sie zu retten. Als sie stürzte, wurde das Messer des Killers noch tiefer in ihren Hals gedrückt, aber in diesem Moment empfand sie schon keinen Schmerz mehr.
Cahuella – durchbohrt von dem Strahl, der Gitta hätte retten und den Killer töten sollen – stieß langsam den Atem aus. Es klang wie der letzte Seufzer eines Menschen, der erleichtert in Schlaf sank. Er hatte – eine kleine Gnade – durch den Schock das Bewusstsein verloren.
Der Killer sah zu mir auf. Er konnte natürlich nicht begreifen, was ich getan hatte, für ihn ergab es keinen Sinn. Ich fragte mich, wie lange es wohl dauern würde, bis ihm klar wurde, dass der Schuss, der Gitta mit mathematischer Präzision mitten in die Stirn getroffen hatte, eigentlich für ihn bestimmt gewesen war. Wie lange, bis ihm die einfache Erkenntnis kam, dass ich nicht ganz der Meisterschütze war, für den ich mich gehalten hatte, dass ich ausgerechnet den Menschen getötet hatte, den ich hatte retten wollen.
Für einen Moment herrschte gespannte Ruhe, während er vielleicht den halben Weg zu dieser Erkenntnis zurücklegte.
Doch ich ließ ihm keine Zeit, die Reise zu beenden.
Diesmal schoss ich nicht daneben, und ich hörte auch nicht auf zu schießen, als der Zweck erfüllt war. Ich pumpte die ganze Energiezelle in den Mann hinein und feuerte so lange weiter, bis der Lauf der Waffe im matten Licht des Zeltinneren kirschrot glühte.
Dann stand ich einen Moment lang untätig vor den drei reglosen Körpern, bis mein Soldateninstinkt wieder einsetzte. Ich kam zu mir und bemühte mich, mir ein möglichst klares Bild der Lage zu verschaffen.
Cahuella atmete noch, war aber tief bewusstlos. Den Reivich-Killer hatte ich zu einem Demonstrationsobjekt für Schädelanatomie gemacht. Mein Gewissen meldete sich, ich schämte mich, die Hinrichtung über jedes vernünftige Maß hinaus getrieben zu haben. Vermutlich waren das die letzten Zuckungen des sterbenden Berufssoldaten gewesen. Indem ich diese Energiezelle leer schoss, hatte ich die Schwelle in ein weniger steriles Reich überschritten, wo es noch weniger Regeln gab und wo es nicht so sehr darum ging, möglichst effektiv zu töten, als möglichst viel Hass abzureagieren.
Ich legte die Waffe auf den Boden und kniete neben Gitta nieder.
Ich brauchte die Reiseapotheke nicht – dass sie unwiderruflich tot war, sah ich auch so. Aber ich konnte es nicht lassen, den kleinen Neuralscanner über ihren Kopf zu halten. Eine Schar von roten Meldungen füllte den Bildschirm: irreparable Gewebeschäden; schweres Hirnstammsyndrom; ausgedehntes Schädel-Hirn-Trauma. Selbst wenn wir einen Trawl im Zelt gehabt hätten, er hätte ihre Erinnerungen nicht mehr abschöpfen können, um wenigstens einen Schatten ihrer Persönlichkeit zu bewahren. Ich hatte
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