Cherryblossom 2 - Nymphenherz (German Edition)
schüttelte der große Mann Henrys Hand ab, wie ein lästiges Insekt. »Fassen Sie mich nie wieder an«, spie er ihm entgegen. »Sie sind selbst nicht viel mehr wert als diese Nummern, die ich entsorgen darf. Sie sind hier nur geduldet, weil unter Ihrer Obhut das eigentliche Ungetüm gedeiht«, zischte der Arzt.
Henry zuckte zurück unter dem Blick, als hätte er sich verbrannt.
»Nicht ich bin hier das Monster, weil ich meine Arbeit tue.« Die Augen des Arztes hingen an dem kleinen Mädchen mit den rotbraunen Zöpfen, das erst zwei Monate alt sein sollte, obwohl sie aussah wie vierzehn. Wie jetzt. Wie heute, Louisa.
» Machen Sie ihre Venen frei«, kommandierte er und die Frau stand ruckartig von ihrem weißen Stuhl auf. So ruckartig, dass Louisa von ihrem Schoß fiel, sich an ihrem Kittel festhielt und leise wimmerte.
»Nein!« Sie packte das Kind am Arm und schleuderte es hinter sich. »Das kommt nicht infrage, hören Sie?«, brüllte sie ungehalten und in ihren Augen stand Entschlossenheit. »Das hat jetzt ein Ende!« Louisa vergrub ihre schlanken Finger in dem Hosenbund der Frau und machte sich hinter ihr klein.
Dann schoss der Arzt vor und schlug der Frau hart ins Gesicht. Sie taumelte. Louisa wirbelte herum, stieß ein Regal mit Reagenzgläsern um und schlitterte unter eine n stählernen Schreibtisch.
»Sind Sie verrückt geworden?«, schrie Henry und eilte auf den Mann zu, der wutentbrannt zu einem weiteren Schlag gegen die Frau ausholte, und entwand ihm die Spritze. Ehe er sich versah, griff die Hand des Arztes neben sich und schnappte nach einem der Operationsbestecke auf einem Tischchen.
Die Frau in Weiß fand ihr Gleichgewicht und wandte sich dem Arzt zu, der auf sie zu hielt. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzten, als das Skalpell tief in ihren Bauch eindrang und mit einem seltsamen Geräusch von der Einstichstelle weiter nach unten bis zur Leiste geführt wurde.
Alles geschah ab hier wie in Zeitlupe.
Ein erstickter Laut, der unter dem Tisch hervordrang.
Ein Röcheln und ein nasses Platschen, als der Schwall Blut auf de n weißen sterilen Fliesen dieses Raumes aufkam.
Ein überraschter Schrei, als die Spritze in Henrys Hand in die Halsvene des Arztes eindrang.
Einige Millisekunden Stille, dann rutschende Schritte auf den Fliesen und das dumpfe Aufschlagen zweier Körper.
Wirre Dunkelheit.
Emotionen überschlugen sich.
Henry riss Louisa unter dem Tisch hervor. Sie presste die Augen so fest aufeinander, dass sie weiße Blitze vor ihren Augen tanzen sah. Die lauten gehetzten Schritte trugen Louisa fort von dem Geruch des Blutes. Nur kurz öffnete sie die Augen, in einem anderen Raum, wo Henry mit zitternden Händen die goldenen verschnörkelten Sterne aus dem Glaskasten nahm, die ihr so furchtbar wehgetan hatten. Das Zeitwandler Artefakt.
Das Mädchen zappelte in seinem Griff wie ein kleiner Fisch. »Louisa. Ich bringe dich hier raus«, sagte er gehetzt.
Sie zappelte weiter. Er schüttelte sie so hart, dass sie sich ein Loch in die Zunge biss und an ihrem eigenen Blut schluckte. »Hörst du!« Seine Augen glommen fiebrig in dem kalten Licht der Neonröhren über ihnen.
Louisa nickte und schluckte erneut die rote Flüssigkeit in ihrem Mund.
Henry wühlte, ohne das Kind aus seinen Fängen zu lassen, in einer Schublade und verbarg anschließend mit zitternden Händen die Artefakte der Zeitwandler in weißem Leinen und einer Plastiktüte.
Wenig später zog er Louisa hinter sich her in den Gang , der auf die Sicherheitsschleuse zu führte. Er fluchte zwischen zusammengepressten Zähnen, sah sich unsicher um und drückte Louisa in eine Ecke.
»Rühr dich nicht von der Stelle!« Und weg war er. Als er wiederkam , stellte er sich dicht an einen leuchtenden Kasten, der mit einem Scanner irgendetwas abtastete. Erleichtert stieß Henry die Luft aus, als sich mit einem Surren die große Stahltür öffnete. Er winkte Louisa zu sich, doch die blieb wie angewurzelt stehen.
»Komm schon «, zischte er und Louisa schloss die Augen, als würde sie dann einfach verschwinden. Unsichtbar werden.
Hen ry sah gequält zwischen der Tür, die Freiheit bedeutete, und dem Mädchen hin und her. Mit einem Ruck stieß er die Tür weit auf, hechtete zu dem Kind, zerrte es mit sich und schlüpfte durch die sich schließende Pforte hinaus. In der einen Hand die weiße Tüte und an der anderen Louisa, die mehr in seinem Griff hing, als dass sie auf ihren Beinen stand. Ihr Blick fiel zurück in den hell beleuchteten
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