Chimären
fahriger. Sie fand unzählige Hinweise auf unterirdische Bauwerke, aber keinen Übersichtsplan, aus dem deren Lage ersichtlich geworden wäre.
Schon wieder mutlos, schob sie den Papierstapel beiseite. Ein Arbeitsbuch fiel zu Boden, klappte auf. Die Seiten bedeckten unterschiedliche handschriftliche Eintragungen.
Ärgerlich bückte sich Susan danach, hob das Buch lieblos auf; ein gefaltetes, abgegriffenes Papier fiel heraus.
Susan fluchte und hieb die beiden Gegenstände auf den Tisch, dabei las sie das Etikett: Führungen. Auf dem liederlich gekniffenen Papier erkannte sie Striche und Zahlen einer Zeichnung. Jetzt schon aufmerksamer, faltete sie es auseinander und wurde immer erregter. Auf einmal ging es ihr nicht schnell genug. Es ratschte. Das Objekt ihres plötzlichen Interesses riss ein. Und sie erkannte: Eine Blaupause hatte sie vor sich als Arbeitsunterlage der Fremdenführer, einen Lageplan der Kasematten und Kellerräume.
Die Frau fieberte. Sie orientierte sich überhastig, drehte den Plan, zwang sich, moderat vorzugehen, dann erkannte sie Eintragungen – und da, ja… Sie verfolgte mit dem Finger den Verlauf eines Ganges, setzte neu an, weil sie die Darstellung an einer Kreuzung wegen einer brüchigen Stelle des Papiers verloren hatte. Aber, kein Zweifel, es bestand eine Verbindung von den Verteidigungsanlagen im Torbereich zum Restaurant, dem ehemaligen Offizierskasino.
Immer wieder suggerierte sich Susan Ruhe und Gelassenheit. Doch allein die Tatsache einer Verbindung sagte noch gar nichts darüber aus, dass sie auch, egal aus welchem Grund, begangen werden konnte. Schließlich stammten die ältesten Anlagen aus dem 13. Jahrhundert. Ein Verbruch oder eine gut verschlossene Tür, und aus war der Traum.
Kaum zu Ende gedacht, zog Susan hastig eine Schublade nach der anderen auf. Schlüssel! Wenn verschlossen, müsste es Schlüssel geben. Derjenige, der neugierige Touristen in die Kasematten führt, muss Zugang haben!
Ein Schubfach mit einem einfachen Schloss leistete Widerstand. Susan zögerte nicht. Eine große Papierschere hatte sie irgendwo gesehen, sie fand sie, und in wenigen Augenblicken gab die Lade ihren Inhalt preis: Schlüssel, ungeheuer viele Schlüssel, wohlgebunden und mit Schildchen versehen. Und Susan machte sich daran, die Bezeichnungen darauf mit denen auf dem Lageplan zu vergleichen.
Susan konnte es kaum erwarten, dass Ron das Abendbrotgeschirr abgeräumt hatte. Noch eine Weile wartete sie nervös, bis sie sicher sein konnte, dass sich keiner von den Besatzern mehr in der Nähe aufhielt. Barfuß, bewaffnet mit einer Lampe und – für alle Fälle – einer der Betäubungspistolen, machte sie sich auf den Weg.
Ihr Vorhaben ließ sich problematischer an, als sie es sich vorgestellt hatte. Fehlende Übung im Lesen von technischen Zeichnungen und offenbar vernachlässigte Aktualisierungen des Plans erschwerten die Orientierung. Doch schließlich fand sie den in der Tat verschlossenen Zugang zum unterirdischen Bereich und nach einiger Zeit nervösen Probierens den passenden Schlüssel.
Obwohl sich Susan einigermaßen sicher sein konnte, dass kein Licht nach außen dringen würde, wagte sie nicht, die zentrale Beleuchtung einzuschalten.
Der Schein ihrer Lampe tanzte vor ihr her, riss die Quader der Mauerung ins Helle und warf groteske Schatten der Pfeiler in die Gewölbe. Des Unheimlichen der Situation konnte sie sich nicht entziehen. Ariadne und Labyrinthmonster fielen ihr ein, Indianerjoe und Tom Sawyers schreckliche Höhlenerlebnisse. Aber einen Leitfaden benötigte sie glücklicherweise nicht. Farbige Pfeile an den Wänden, die mit Zeichen auf dem Plan übereinstimmten, halfen ihr, sich zu orientieren. Dennoch blieb sie öfter stehen, vergewisserte sich, lauschte, wenngleich sie sich immer wieder sagte, dass sie gänzlich sicher wandelte. Die Hunde schaffen es nicht, schwere Schlüssel zu drehen, und die zwei Schimpansen? Sie übten und amüsierten sich wahrscheinlich im Internet.
Obwohl ihre nackten Füße auf dem Steinfußboden keinerlei Geräusche verursachten, bewegte sich Susan in einem Schleichgang vorwärts. Öfter suchte sie ein Schauder heim, wenn sie stockfinstere Quergänge und Räume passierte.
Dann stand sie vor einer Tür mit der Aufschrift: „Kein Durchgang“. Wieder durchforstete sie ihre Schlüssel. Dann befand sie sich in einem Raum, vollgestellt mit metallenen Fässern und Regalen, auf denen eine Unzahl von zum
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