Cholerabrunnen
fahren ließ, als Dresden zur Hygieneausstellung bat. Heute ist alles fest verlegt, eingebaut, diese Bahn eine Institution. Damals war sie nur eine Attraktion. Eben eine Liliputbahn. Schöne Sache. Kinder tun dort Dienst, lernen fernab von Armee und Drill die Werte von Pünktlichkeit und Pflichtbewusstsein. Na er sollte sich nicht dermaßen in solche Dinge versteifen. Erst seine Interessen… und dann kann er sich um andere politische Belange kümmern. Oder auch nicht.
Da kommt Mauersberger. Hat er jemanden dabei? Nein, nur eine Schultertasche… und man erkennt, dass er etwas zur Seite hin gebeugt geht. Das ist kein Bandscheibenvorfall. Das sind die Barren. Seine Barren. Er grinst in sich hinein. Ja, seine… nichts anderes.
„Hallo, alles Okay?“
Niemand scheint sie zu beobachten. Mauersberger nickt und setzt sich auf eine der Bänke. Will der die Sache doch hier in der Öffentlichkeit über die Bühne bringen? Kaum zu glauben. Er lässt sich auch nicht einfach so eine Tasche aushändigen. Das könnte jemand beobachten. Jetzt ist der Biergarten voll. Jeder schaut auf ihn… zumindest entsteht der Eindruck. Sicher nur eine Einbildung, oder?
„Ja, alles in Ordnung. Ich nehme erst einmal ein Bier. Ist zwar bei der Hitze nicht gerade gut, aber ich brauche eines. Sag mal, wie geht es eigentlich Weinert? Versucht der immer noch, Dich herumzubekommen?“
Der alte Vorwurf. Soll er ihm reinen Wein einschenken, auch dies gleich ein für alle Mal klären? Er ist sich nicht sicher, ob das der richtige Zug zum jetzigen Zeitpunkt wäre.
Sie laufen an den Trainingsplätzen vorbei.
„Könnten auch besser spielen. Und die Finanzen sind da ebenso nicht in Ordnung. Wie bei Dir, oder?“
Mauersberger haut immer in die Kerbe. Was soll das? Er siegte. Kann der ihm nicht endlich auch einmal einen kleinen Triumph gönnen? Nein, der muss wieder…
„In der Politik, weißt Du, da ist das eine ganz verrückte Sache. Hast Du Schulden und bist in der dritten oder gar vierten Reihe, interessiert das niemanden, Die nutzen Dich gar noch aus. Von allen Seiten. Selbst Deine Parteigegner… na ja, ist eben so. Aber wenn Du aufrücken willst, schlagen sogar die eigenen Freunde auf Dich ein. Und dann bemerkst Du erst, dass Du gar keine Freunde hast. Das ist… bitter. Sage ich mal vorsichtig. Eigentlich ist es blöd.“
Ja, denkt Mauersberger. Und andere Dinge sind auch blöd. Er schaut in das Gesicht seines Gegenübers. Der blieb eben stehen und blickt über das Spielfeld, auf dem sich ein mäßiger Trainer bemüht, aus gut bezahlten Individualisten ein Team zu formen. Das gelingt selten. Ihm bei den Männern vom Cholerabrunnen eben leider auch nicht. Einige stehen zu ihm, der hier nicht. Und wenn die anderen… na ja, er glaubt nicht mehr an einen wirklichen Erfolg, aber er will auch nicht das Wenige, was sie fanden, aufs Spiel setzen.
Er schaut über die große Wiese hinter dem Trainingsplatz. Ist Bauer da? Er hofft es. Ob der eine ruhige Hand hat, wenn er das Stilett führt? Er kann ebenso nur darauf hoffen. Zum Schluss kommt Frenzel davon und… na ja, das wäre nicht gut.
„Hier, auf dem Baum klettern schon immer Kinder.“
Frenzel schaut Mauersberger fragend an.
„Na ja, ich wollte nur auch mal was aus meiner Jugend erzählen. Mit dem Rad, das mir mein Vater zusammenbaute… aus verschiedenen Kaputten… fuhr ich her und kletterte. Und dann nahm mir doch einmal so ein Großer das Ding weg und wollte flüchten. Aber…“
Er grinst und schlägt sich dabei auf die Schenkel. Inzwischen sitzen sie schon auf einer Bank neben dem Kletterbaum.
„…er konnte nicht. Die Kette sprang herunter und ich kippte ihn um. Er fiel ungünstig und ich hatte mein Rad zurück, brauchte nur zwei, drei gewohnte Griffe und konnte fahren. Er rappelte sich hoch und rannte hinter mir her, stolperte später über eine Wurzel und blieb zurück. War eben… ein Verlierer. Und ich behielt, was ich hatte.“
Frenzel schaut auf den Boden. Was will der alte Mann neben ihm eben ausdrücken? Hat es etwas mit seiner Forderung zu tun? Bedeutet das, er bekommt nichts? Oder ist es nur Zufall?
„Können wir die Sache jetzt bitte abschließen?“
Mauersberger nickt.
Bauer trägt einen Tarnanzug. Ein wenig sieht er aus, wie die Schläger die sich hin und wieder in verschiedenen politischen Lagern in Dresden und Umgebung, aber vor allem in der Sächsischen Schweiz zusammenrotten. Er schluckte schon bei dem Gedanken, zog trotzdem noch die Stiefel dazu an,
Weitere Kostenlose Bücher