Cholerabrunnen
nicht provozieren. Erst recht nicht von so einem, der schon überall in Verruf steht.
Der Gescholtene steht auf, geht langsam die Treppe nach unten und zu seinem Wagen, an dem auch noch ein Knöllchen prangt. Toll, denkt er. Heute geht alles schief.
Im Saal geht die Beratung weiter.
„Bitte lassen Sie sich von diesem Zwischenfall nicht weiter stören und vor allem nicht Ihre Entscheidung beeinflussen.“
Die Oberbürgermeisterin schaut in die Runde, sieht einige Blicke, die nicht ihrer Meinung sind.
„Tja, man kann sich schon für etwas einsetzen, aber man sollte… nicht dermaßen verbohrt vorgehen, wie es der Herr Weinert tat. Er hat ja auch andernorts schon… einige sehr gute Freunde. Oder, Herr Engelhardt?“
Der Angesprochene zuckt zusammen. Er ahnt, dass alle um sein Zerwürfnis mit dem Mann wissen und er hasst diese Plaudereien schon. Er wollte das nicht und erst recht will er jetzt nicht so dastehen, als folge er Weinerts Rede… dabei ist es auch sein Wunsch, dass man dieses letzte Bauwerk am Neumarkt nicht errichtet. Er flucht in sich hinein und spürt, dass immer noch einige Blicke auf ihn gerichtet sind. Was soll das? Wollen ihn nun alle disziplinieren? Das kann er vielleicht gebrauchen! Er flucht gleich noch einmal.
„Gut, kommen wir also zu den eingereichten Vorschlägen, die ja schon in mehreren Sitzungen vorgestellt wurden und die wir… nun ja, die wir nun aussortieren sollten, um endlich zu einem annehmbaren Ergebnis zu kommen.“
Engelhardt denkt an die Karte, die Weinert ihm vorlegte. Tresore. Das war vor drei Wochen. Vier Tresore sollten unter dem Neumarkt sein. Er will gar nicht wissen, woher der Kerl wieder diese Informationen hat. Er wird ihn auch nicht fragen, warum er so sicher ist, dass man nun noch einen bergen könnte. Und dass der natürlich genau an der Stelle stecken soll, wo man jetzt bauen will… das passt selbstredend auch noch. Vielleicht eine Farce, vielleicht will er ihn nur auf seine Seite ziehen? Ja, natürlich hätte auch Engelhardt gern Beweise für die Theorien des 13. und 14. Februars 1945. Und wenn er damit zugeben müsste, dass Weinert recht hat… nein, das wird nicht geschehen, aber er hätte kein Problem damit. Dann hätten sie eben eine neue Lage und die Geschichte ist geklärt.
Geklärt… nichts ist geklärt. Er flucht schon wieder. Nichts kann man auf diese Weise klären, wenn jetzt ein reges Baugeschehen einsetzt.
„Frau Oberbürgermeisterin, ja, Sie haben recht…“
Es war eine Eingebung. Er stand einfach auf und schaut nun in die Runde. Bisher galt er als ein recht ruhiger Stadtrat. Einige munkeln gar, eben weil er sich nie wirklich äußerte, wählte man ihn. Das ist natürlich Quatsch. Aber… er hat seinen Ruf weg und eben ist er dabei, den zu verändern. Er wird sich solches nicht bieten lassen. Er muss doch… verhindern, dass man ihm eine Chance nimmt… wozu auch immer.
„Häuser, immer nur Häuser. Schauen Sie sich doch den Platz an. Hier, alte Fotos aus den DDR-Tagen. Ja, ist etwas trist und sicher kann man sich über diese Leere auch ärgern, aber dass man alles zubaut… ich könnte Ihnen da Sachen erzählen!“
Weinert heult sich aus. Der Anwalt soll ihn unterstützen. Nicht nur, weil man ihm wirklich Hausverbot für das Rathaus verabreichte, er sich also dort nicht mehr sehen zu lassen hat, sondern ebenso, weil er diese verrückte Entscheidung des Stadtrates kippen will. Volksentscheid? Nein, den wird es nicht geben, aber wenn man sich vielleicht auf eine ganz einfache Weise an den Denkmalschutz heranmacht und denen klarmacht, was sie kaputtmachen?
Der Anwalt schüttelt immer wieder den Kopf.
„Das sind doch parlamentarische Entscheidungen. Gegen die vorzugehen, das wird schwierig…Sie haben es doch gesehen… die Entscheidung zur Brücke konnte man auch nicht kippen. War eben im Stadtrat getroffen… ja, klar, auf der Basis eines Bürgerbegehrens, aber auch das ist egal. So etwas bekommen wir wegen einem Haus nicht hin. Zumal man doch darunter noch alte Keller weiß. War also bebaut. Egal, wann… nicht zu lange her. Erdgeschichtlich sind sechzig, siebzig Jahre gar nichts. Das müssen Sie einsehen, Herr Weinert!“
Der Dicke ist außer sich.
„Wer bezahlt Sie denn? Die Stadt oder ich?“
Der Anwalt, sich seiner Sache wirklich sicher, nickt nur vor sich hin.
„Derzeit noch gar niemand. Also, machen Sie bitte nicht so ein Fass auf, ja? Das ist ja nicht zum Aushalten… Die Stadt beschließt einen Bau, die
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