Cholerabrunnen
nur im Ansatz rechnen. Er hütete sich natürlich, ein Wort über all dies zu verlieren. Nein, noch Öl ins Feuer konnte und durfte er nicht gießen. So hielt er sich nun an seinen selbst gewählten Fahrplan und bat den ersten Redner zu sich, der die Ausgangssituation genauer darstellen sollte.
Einige der erläuterten Ergebnisse mussten anfangs mehrfach wiederholt werden. Niemand in der Halle folgte noch voll konzentriert, denn es kamen laufend Rückfragen und dann war solch ein Gemurmel um alle darinnen, dass man seine eigenen Gedanken nicht mehr verstand. Im Präsidium unter dem Canalettobild dachte man mehrfach über einen Abbruch nach, und als schließlich ein älterer Herr aufstand und meinte, es gäbe aber neue, sogar fast gleich aktuelle Veröffentlichungen, die auf eine besonders plausible Art und Weise darstellen, dass es sich eben anders verhielt, als hier benannt, dachte Sorge daran, wie man ihm damals bei Übernahme des Auftrages versicherte, es gebe eben eine Lobby für diese und eine für jene Seite der Lager, aber man arrangiere sich schon miteinander und niemand sollte zum Schluss Angst haben, seine Meinung und seine Ergebnisse nicht vorführen und veröffentlichen zu dürfen.
„Ich zeige Ihnen jetzt die Studienergebnisse anhand der Begehung der Elbauen, der vielen Wiesen, der Hügel, auch jener Stellen, wo später Abraum von der leichten Umverlagerung des Elbeverlaufes abgelagert worden sein soll. Und diese Ergebnisse beruhen nicht etwa auf Annahmen, sondern wirklichen Ergebnissen. Wir hatten verschiedene Arten von Metalldetektoren im Einsatz, konnten gar neueste, eher modernste Technik von Suchtrupps bis hin zu denen der Forensiker aus den USA anwenden und kamen zu einem klaren Ergebnis… nun, wenn man die Bilder der gefundenen Ausschläge betrachtet, ist das sicher auch verständlich… Matz ab!“
In der Halle wird es etwas dunkler, das Bild eines Beamers erscheint an der Wand, gleich neben Canaletto. Der blaue Bildschirm verändert sich und wenig später zeigen sich erste Fotos.
„Sie sehen die Bilder, die uns die Geräte lieferten. Ich fasse einmal zusammen… es waren keine bleihaltigen Metalle darunter. Doch das muss noch nichts bedeuten, denn auch 1945 wurde Munition bereits mit Stahlmänteln und Ähnlichem bestückt. Somit war das noch kein Anhaltpunkt. Doch wenn ich Ihnen jetzt zeige, welche Materialien und andere Funde wir wirklich bergen konnten, werden Sie einsehen, dass dies bei einem intensiven Tieffliegerangriff auf Menschen an der Elbe einfach nicht das typische Bild wäre. Gleiche Ergebnisse ergaben sich bei… unseren Recherchen im Großen Garten und an anderen infrage kommenden Plätzen, wo man aufgrund der Hinterlassenschaften und des Baugeschehens noch auf Ergebnisse hoffen konnte. Die Quintessenz, meine Damen und Herren, ist eine eindeutige… Natürlich steht nichts fest, wie ein alter Felsen… aber wir untermauern zumindest Hypothesen eines Lagers. Ich sage es frei heraus… es gab nach unserer Auffassung keine Tieffliegerangriffe in Dresden.“
Ein Raunen um ihn zeigt dem Professor die Macht seiner Rede.
Weinert blickt wieder und wieder auf die Uhr. Die kommen nicht aus dem Restaurant heraus. Dann muss er sich selbst einen Überblick verschaffen. Er schaut sich um. Nein, niemand beobachtet ihn. Ungewöhnlich nach den Erfahrungen der letzten Tage. Er schluckt und nickt sich selbst zu. Ja, das mag stimmen, aber er wird sich dadurch nicht in Sicherheit wiegen lassen.
Er tritt ein. Die kleine Treppe neben dem wieder erstandenen Coselpalais ist schon etwas ausgetreten. Dieses Gewölberestaurant im mittelalterlichen Ambiente des angeblich an dieser Stelle einst vorhandenen Pulverturms zählt seit seiner Eröffnung zu den am besten besuchten in der Stadt. Warum? Vielleicht, weil es eine Atmosphäre vermittelt, die jeden Besucher eintauchen lässt in eine längst vergessene, mit vielen Klischees behaftete Zeit.
Er las erst letztens in einer eigens von der Betreibergesellschaft herausgegebenen Zeitschrift, dass man annahm, der alte Pulverturm wäre aus einer Windmühle entstanden, die hier einmal stand. Doch das zerschlug sich bereits schnell wieder. Gleich rief diese Aussage nämlich Stadtforscher auf den Plan, die behaupteten, die Mühlen von Dresden standen weiter nördlich. Dort deutete noch vor wenigen Jahren eine Gaststätte auf den Windmühlenberg hin, der heute kaum mehr zu erkennen ist, ebener wurde, fast auf selber Höhe, wie der Altmarkt liegen mag. Und
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