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Choral des Todes

Titel: Choral des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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einen Blick zu. Ohne seine Ohrstöpsel herauszuziehen, begann der Mann mit ungewöhnlich leiser Stimme:
    »Es gab Zusicherungen, früher einmal. In einer bestimmten Situation. Unter einer bestimmten Regierung. Das Wichtigste ist jetzt, herauszufinden, ob diese Leute angefangen haben, durchzudrehen.«
    »Vier Morde in weniger als sieben Tagen: Wie nennt ihr das?«
    »Nichts Genaues weiß man nicht. Mutmaßungen sind in einem solchen Fall nichts wert.«
    »Und die entführten Jungen? In all diesen Jahren habt ihr die Augen vor den Entführungen und den Gräueltaten, die in der Kolonie begangen werden, verschlossen!«
    Rains schüttelte den Kopf. Er wirkte erschöpft. Nur die Falten in seiner Lederjacke schienen ihn aufrecht zu halten.
    »Kasdan, die Kolonie ist ein anderes Land. Ein souveräner Staat. Hast du das jetzt endlich begriffen? Weder Durchsuchungen noch Ermittlungsverfahren kommen in Frage.«
    »Worauf wartet ihr, um alles hochgehen zu lassen?«
    »Konkrete Beweise. Etwas Handfestes.«
    Marchelier ergriff wieder das Wort:
    »Kannst du uns das liefern?«
    »Nein.«
    Rains gluckste, und die beiden anderen kicherten ebenfalls:
    »Genau das haben wir uns schon gedacht …«
    Marchelier verließ schließlich seinen Platz am Fenster und pflanzte sich vor Kasdan auf:
    »Wir sind aus zwei Gründen gekommen. Erstens, um deine Aufzeichnungen an uns zu nehmen. Zweitens, um dich zu stoppen. Du pfuschst uns ins Handwerk, und du störst uns.«
    »Dafür, dass ihr angeblich unermüdlich im Einsatz seid, bin ich euch nicht oft über den Weg gelaufen.«
    »Weil wir dir weit voraus sind. Übergib uns deine Unterlagen, Kasdan, und genieße die Weihnachtszeit.«
    »Was werdet ihr konkret unternehmen?«
    »Die Mordkommission ist am Ball.« Machelier blickte zu seinen Begleitern. »Der Inlandsgeheimdienst ist eingeschaltet. Ebenso der Verfassungsschutz, die Steuerfahndung und die Beobachtungsstelle für sektiererische Auswüchse. Also, glaub mir, dass wir keinen alten armenischen Quertreiber brauchen. Lass uns, verdammt noch mal, unsere Arbeit tun.«
    Während seiner vierzig Jahre bei der Polizei hatte Kasdan mehrmals erleben müssen, dass zu viele Köche den Brei verderben. Die vielen verschiedenen Sicherheitsbehörden, die sich eingeschaltet hatten, bedeuteten vor allem eins: Papierkrieg, langsam mahlende Mühlen und ein Hin und Her von Informationen.
    Ganz abgesehen von dem Wichtigsten. Die Kolonie war – formal betrachtet – ein eigenständiger Staat. Sofern die Mörder entlarvt wurden, mussten Auslieferungsverfahren und administrative Schritte eingeleitet werden, die Wochen, wenn nicht Monate in Anspruch nehmen würden.
    Er konnte jetzt handeln.
    Er und sein Trojanisches Pferd: Volokine.
    Der Armenier gab sich scheinbar geschlagen:
    »Meine Unterlagen sind im Zimmer nebenan. Das ist alles, was ich habe.«
    Marchelier gab Simoni ein Zeichen, worauf dieser verschwand, um sogleich mit den Armen voller Notizen, Berichte und Fotos zurückkehren. Die drei Polizisten ließen sich auf dem Sofa nieder und durchstöberten mit konzentriertem Gesichtsausdruck die Dokumente.
    Kasdan hatte das Gefühl, dass man in seinem Slip herumwühlte, aber er empfand es als nicht weiter schlimm. Konkrete Beweise zusammentragen. Ein normales Ermittlungsverfahren durchführen. Das war jetzt nicht mehr möglich. Er musste so schnell wie möglich nach Arro fahren. Sich die Unterstützung Rochas’ sichern. Die Kolonie angreifen.
    »Okay«, sagte Marchelier schließlich und stand auf. »Wir nehmen all dies mit.«
    »Viel Erfolg. Macht die Tür hinter euch zu.«
    »Du hast nicht verstanden, Alter. Du kommst mit uns.«
    »Was?«
    »Du wirst uns deine Version der Geschichte erzählen. Wir werden alles schriftlich festhalten.«
    »Das geht nicht.«
    »Hast du eine Verabredung?«
    »Nein, aber …«
    »Also los!«

KAPITEL 70
    »Name?«
    »Girard.«
    »Vorname?«
    »Nicolas.«
    »Alter?«
    »26 Jahre.«
    »Weshalb kommst du zu uns?«
    »Ich suche Arbeit.«
    »Am 27. Dezember?«
    »Ich habe meine Familie in Millau besucht. Sie haben mir von der Kolonie erzählt.«
    »Was weißt du über uns?«
    Die Fangfrage. Volokine stand mit seinem Seesack vor dem Wachhäuschen des zweiten Sicherheitszauns um das Landgut. Ein kräftiger Wind wehte. Den ersten Grenzposten hatte er ohne Schwierigkeiten passiert. Seinen gefälschten Ausweis hatte ihm die Polizeipräfektur selbst für seine verdeckten Ermittlungen im pädophilen Milieu ausgestellt.
    Hier wusste man gleich, was

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