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Choral des Todes

Titel: Choral des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Trommelfelle?«
    »Ja, vermutlich.«
    Der Arzt sprach mit spanischem Akzent und stieß eine Art operettenhaftes Girren aus, das sich komisch anhörte, aber Kasdan lächelte nicht.
    »Und die Verstümmelungen?«
    »Anders als bei dem Inder hat der Mörder die Zunge nicht abgeschnitten«, erwiderte Kasdan. »Er hat die Augen herausgerissen. Ebenfalls nach Eintritt des Todes. Wie du sicher schon erraten hast, befinden sich jeweils ein Auge in der linken und in der rechten Hand. Hinzu kommt das ›tunesische Lächeln‹, das aber so eine Art schmückendes Beiwerk zu sein scheint.«
    »Schmückendes Beiwerk?«
    »Ja, um die schauerliche Atmosphäre des Ganzen zu unterstreichen. Recht gelungen, oder?«
    Volokine warf einen Blick auf das Mordopfer und zwang sich dazu, die schreckliche Wunde im Gesicht zu betrachten. Dieses albtraumhafte Grinsen von einem Ohr zum anderen. Kasdan würde seine Idee bestimmt als hirnrissig abtun, doch hinter dieser Verstümmelung spürte er etwas Kindliches, Clowneskes in einer gruseligen Version.
    »Was kannst du mir über die Verstümmelungen sagen?«, fragte Kasdan den Arzt. »Ist das die Arbeit eines Profis?«
    »Überhaupt nicht. Sie sind brutal, barbarisch und hastig ausgeführt. Dem Mörder geht es nicht um Schönschrift. Er wollte einfach die Organe heraustrennen, die in dem blutigen Schriftzug erwähnt werden. ›Was in deinen Augen böse ist, habe ich getan.‹«
    »Ist das alles?«
    »Nein, ich habe eine gute Nachricht für dich. Anscheinend wurden beim letzten Mordopfer tatsächlich Spuren von Metall gefunden.«
    »In den Ohren?«
    »Nein, im Mund. Beim Abtrennen der Zunge kam es zu mikroskopisch kleinen Absplitterungen. Metallreste, die gegenwärtig untersucht werden. Ich bekomme die Ergebnisse heute Abend. Spätestens morgen früh.«
    »Super. Lässt du von dir hören?«
    »Klaro, mein Spatz. Aber du musst mich heute Abend wieder verköstigen …«
    Endlich huschte ein Lächeln über Kasdans Gesicht:
    »Allmählich kommst du auf den Geschmack, alter Freund! Keine Sorge, ich bringe dir meine Crêpes vorbei. Ruf mich an, sobald du mit der Autopsie fertig bist.«
    Der Armenier ging zu den Technikern der Spurensicherung rechts vom Altar. Der Russe folgte ihm auf den Fersen. Kasdan bewegte sich hier so sicher wie ein Hai in den Weiten des Ozeans. Er wandte sich an einen der Männer. Der Typ hatte seine Kapuze heruntergeschlagen, sodass ein Eierkopf zum Vorschein kam.
    Volo hörte, wie der Techniker sagte:
    »Man könnte glauben, dass es sich um Splitter vom Parkettboden handelt, aber das ist nicht der Fall. Es ist die gleiche Art wie beim ersten Mal.«
    »Und am Tatort des Mordes an dem Inder, seiner Wohnung am Boulevard Malesherbes, hast du auch welche gefunden?«
    »Ja, auf dem Flur.«
    »Das gleiche Holz?«
    »Das sag ich dir in ein paar Stunden.«
    Der Techniker öffnete seine Hand. Er trug Latexhandschuhe. Zwischen grünlichen Falten lagen braune Holzsplitter. Er fügte hinzu:
    »Ich schätze, dass uns hier eine böse Überraschung erwartet.«
    »Wieso?«
    »Ich ruf dich an.«
    Der Kosmonaut ging zu seinen Kollegen, die im Blitzlichtgewitter geschäftig zugange waren. Bei jedem Lichtblitz schienen diese weißen Gespenster von einem Positiv zu einem Negativ zu werden. Sie wurden kurzzeitig völlig schwarz, um dann gleich wieder ihre ursprüngliche Helligkeit zurückzuerhalten. An dieser heiligen Stätte hatte ihre flüchtige Wandlung etwas Wunderbares – Lichtblitze der Heiligkeit, die eine tiefe Finsternis durchzuckten.
    »Komm, wir machen die Fliege.«
    Wie ein gehorsames Hündchen folgte Volokine seinem Herrn. Im Innern freilich lächelte der Russe. Weil er, und nur er, die einzige brauchbare Information über diesen Tatort besaß. Sie traten durch das Portal, das von Basreliefs aus Basalt eingerahmt wurde, ins Freie. Auf dem Vorplatz wurde die wachsende Menge der Schaulustigen von Polizisten zurückgehalten. Mitten unter ihnen waren Kameras mit vertrauten Logos auf den Eingang der Kirche gerichtet – TF 1, I-Télé, LCI , France 2 … Männer trugen an Umhängeriemen auch Tonbandgeräte in den Farben großer Rundfunkanstalten: RTL , Europe 1, NRJ .
    Die Meute war also zur Stelle. Endlich. Die Journalisten versuchten, durch die Absperrung zu gelangen und beriefen sich dabei lautstark auf die »Pressefreiheit« und das »Recht auf Information«.
    Volokine fühlte sich seltsam leicht und frei.
    Die große Parade der Medien begann.
    Aber noch wusste niemand, dass die eigentlichen

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