Christine Feehan - Karpatianer 13 - Dunkler Ruf des Schicksals
das Vergeltung versprach. In ihrem Mund lag der bittere Geschmack von Verrat. Warum hatte sie sich von seiner Stimme zu der Annahme verleiten lassen, er wäre anders ? Sie schoss um die Ecke und blieb abrupt stehen, als sie die beiden sah.
MaryAnn stand mit leicht gerunzelter Stirn in ihre Richtung gewandt. Nicolae hatte beide Arme um die Frau gelegt und hielt sie vor sich wie einen Schild. Langsam, fast träge hob er den Kopf und sah Destiny herausfordernd an.
Sie blieb einige Schritte auf Distanz. MaryAnn schwebte in Lebensgefahr. Nicolae könnte sie ohne Weiteres töten. Destiny war sich bewusst, dass eine falsche Bewegung ihrerseits das auslösende Moment sein könnte. »Was willst du?« Für MaryAnn würde sie ihm beinahe alles geben. Sie betete, MaryAnn nicht töten zu müssen, um zu verhindern, dass sie in seine Hände fiel. »Sag mir, was du willst.« Fast unmerklich rückte sie näher an ihn heran. Die Luft zwischen ihnen vibrierte vor Anspannung. Über ihnen türmten sich dunkle Wolken am Himmel auf. Kleine geäderte Blitze zogen sich von einer Wolke zur nächsten. Der Wind begann schaurig zu heulen, und steigerte sich dann und wann zu einem gellenden Wutschrei.
Nicolae lächelte und zeigte seine makellos weißen Zähne. Er sah genau wie das Raubtier aus, das er war. »Ich bin kein Anfänger, der sich austricksen lässt, Destiny. Bleib, wo du bist, und sei vernünftig.«
»Sie steht unter meinem Schutz.«
»Und unter meinem«, gab er ruhig zurück, ohne den Blick von ihr zu wenden.
Destinys weicher Mund presste sich zu einer dünnen Linie zusammen. Sie rückte von links näher an das Paar heran und wippte dabei auf den Fußballen, um sofort bereit zu sein, wenn er auch nur den kleinsten Fehler beging.
Ohne Vorwarnung schoss ein Schatten vom Himmel, lautlos und tödlich. Ein bösartiger Schnabel und messerscharfe Krallen zielten direkt auf MaryAnns Gesicht. Destiny sprang nach vom, um sich dazwischen zuwerfen, aber die Eule stieg bereits wieder auf. MaryAnn machte ein entsetztes Gesicht. Der Schnabel hatte auf ihre Augen gezielt, und sie war dem Hieb nur knapp entkommen.
»Nicht bewegen«, warnte Destiny ihre Freundin. »Pfeif ihn zurück, Nicolae. Pfeif ihn sofort zurück.«
»Er will mich nur beschützen«, erklärte Nicolae freundlich. »Er weiß, was du vorhast, und ihm ist klar, dass ich dir nicht wehtun werde. Das war eine Warnung an dich. Falls du mich verletzt, wird er sie töten. Ich kann ihn nicht aufhalten, das weißt du, Destiny. Er ist mein Bruder und versucht lediglich, mich zu schützen. Denk nach, bevor du handelst.« Nicolae achtete darauf, dass MaryAnn zwischen ihm und Destiny stand.
MaryAnn runzelte die Stirn. »Sind Sie Nicolae etwa böse, Destiny? Ich habe ihn gebeten, dass er mein Blut nimmt. Ich wollte es.«
Destiny fuhr sichtlich zusammen. »Sie haben keine Ahnung, was das bedeutet! In Wirklichkeit wollten Sie es gar nicht. Es gibt keinen Grund, warum Sie es sich gewünscht haben sollten. Seine Stimme ist eine Waffe und kann sie dazu bringen, praktisch alles zu tun. Seine Stimme wirkt wie eine Hypnose auf andere. Wissen Sie, was das heißt? Unter diesem Zwang tun Sie alles, was er verlangt, alles, was er befiehlt, alles, was er wünscht. Sie glauben, dass er Ihnen die Wahl gelassen hat, aber so war es nicht. Sie hatten nie eine Wahl; Sie wären auch damit einverstanden gewesen, sich eine Pistole an den Kopf zu halten und abzudrücken.«
Ein Blitz zuckte über den Himmel und traf beinahe die Eule, die über ihnen kreiste, aber der Raubvogel löste sich mitten im Flug auf und hinterließ nur einen Dunstschleier. Ein Funkenschauer fiel wie glitzernde Geschosse vom Himmel, die ein Ziel suchten, doch genauso schnell legte sich ein feiner Nebel über die Nacht und erstickte die glühend heißen Lichtpunkte.
»Mach so etwas nicht noch einmal, Destiny.« Ein leises Knurren begleitete die Warnung, und zum ersten Mal schien von Nicolae eine Bedrohung auszugehen.
»Wartet! Hört sofort auf damit!« MaryAnn schüttelte energisch den Kopf. »Es war meine Idee, und ich habe gründlich darüber nachgedacht. Nicolae wollte meine Erinnerungen auslöschen, um Sie und sein Volk und auch mich selbst zu schützen. Er hat mir gesagt, dass mich mein Wissen für Vampire angreifbarer macht.«
Diese Aussage drang durch Destinys brodelnden Zorn und dämpfte das furchtbare Gefühl, verraten worden zu sein. Was MaryAnn sagte, traf zu. Ein Vampir konnte ohne Weiteres MaryAnns Gedanken lesen und so
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