Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)
sagte er rasch. »Hauptsache, ihr glaubt mir endlich. Ein sehr böses Geschöpf treibt sich auf der Insel herum und hat die Krankheit mitgebracht. Wir brauchen unbedingt den Trank dagegen.«
Bale strich sich nachdenklich mit dem Daumen die Unterlippe. »Na schön, dann habe ich mich eben geirrt. Ich glaube dir, dass du die Wahrheit sagst, wenn vielleicht auch nicht die ganze. Aber kannst du mir erklären, wieso dir jemand eine Falle gestellt hat? Wieso ausgerechnet dir? Bist du denn jemand Besonderes?«
»Das weiß ich genauso wenig wie du«, drückte sich Torak um eine Antwort.
»Ehrlich?«
»Ganz ehrlich.« Torak wechselte das Thema. »Jetzt erklärt mir aber endlich, worüber ihr beide vorhin geredet habt. Es ging um die Kormorane.«
Asrif und Bale sahen einander an.
Es war Bale, der schließlich antwortete. »Es geht darum, dass heute in der Meerenge zwischen unseren beiden Inseln ein paar Männer beim Fischen angegriffen wurden.«
»Angegriffen?«
»Von einem Jäger.«
»Einem Einzelgänger«, setzte Asrif hinzu. »Mit einer verstümmelten Finne.«
Torak sah wieder die schwarzen Rückenflossen unter dem Gekreisch der Seevögel im Wasser kreisen und darunter die eine, besonders große, aus der ein Stück herausgebissen war. Er dachte an den Heringsschwarm in seiner Todesangst …
»Ist dir klar, dass es nur ganz selten vorkommt, dass ein Jäger seinen Schwarm verlässt?«, sagte Bale. »Natürlich gehen die männlichen Jäger allein auf die Suche nach einer Gefährtin, aber nur im Winter. Bei dem Jäger, von dem uns die Kormorane erzählt haben, war das nicht der Fall.«
»Ist jemand zu Tode gekommen?«
Bale schüttelte den Kopf. »Er hat drei Boote zertrümmert, dann ist er weggetaucht und nicht mehr hochgekommen. Der Kormoranschamane meint, er hat die Männer am Leben gelassen, weil er eigentlich jemand anderen gesucht hat.«
»Zum Beispiel dich, Waldjunge«, warf Asrif ein.
»Und warum?«, fragte Torak mit gespielter Empörung. »Weil ich im Meer ein paar Angelhaken ausgelegt habe?«
»Lass ihn, Asrif«, befahl Bale. »Tenris glaubt nicht, dass es daran liegt. Er sagt, es muss noch einen anderen, schwerer wiegenden Grund geben.« Er sah Torak forschend an. »Hast du uns etwas zu sagen?«
Torak schüttelte den Kopf.
»Oder andersrum«, warf Asrif ein, »bleibst du dabei, dass du mit zum Adlerfelsen kommst?«
»Ja«, bekräftigte Torak, aber als er die dunklen Wellen an die Klippen branden sah, kamen ihm Zweifel. Vielleicht hatte er, ohne es zu wollen, etwas Verbotenes getan?
»Wenn wir nichts Verbotenes getan haben«, griff Bale den Gedanken scheinbar auf, »kann uns nichts passieren. Wir nehmen die Rinne zwischen den Schären und der Küste und Tenris wirkt für alle Fälle einen Tarnzauber über unsere Boote.« Er zeigte zum Lager. »Los, wir holen uns noch etwas zu essen. Wir müssen bald los.«
Die beiden Robbenjungen strebten eilig dem Lagerplatz zu und Torak folgte ihnen in einigem Abstand. Noch einmal trieb er im Geist im Wasser und sah dem flüchtenden Heringsschwarm nach. Schatten, Tod , hatte ihn Wolf im Traum gewarnt.
Bezog sich das etwa weder auf die Krankheit noch auf den Schleicher, sondern auf den einzelgängerischen Jäger, von dem die Kormorane erzählt hatten?
War es das, was ihm Wolf hatte mitteilen wollen?
Torak war längst fort, da hockte Renn immer noch am Feuer und dachte über alles nach, was er ihr berichtet hatte. Zum Beispiel über seinen Traum. Sie hätte gern mehr darüber erfahren.
Mit Träumen kannte Renn sich aus, denn manchmal wurden ihre eigenen Träume Wirklichkeit. Als sie noch klein war, hatte sie das erschreckt, und um sie zu beruhigen, hatte Fin-Kedinn Saeunn angewiesen, ihr zu zeigen, wie man damit umging. Die Rabenschamanin hatte sie gelehrt, nach der verborgenen Bedeutung solcher Träume zu suchen. »Die Bedeutung eines Traums ist nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen«, hatte die Alte gesagt. »Manchmal muss man ihn sozusagen aus dem Augenwinkel betrachten, wie eine Spur im Tau.«
Schatten… Tod.
War die Krankheit gemeint? Oder eher das Tokoroth? Oder keins von beidem, sondern der Jäger mit der verstümmelten Finne, den Torak erwähnt hatte?
Bei diesem Gedanken überlief es sie kalt. Auf der Überfahrt zur Robbeninsel hatten die Seeadler nach einem einzelnen Jäger Ausschau gehalten, von dem der Tangclan berichtet hatte, er sei bösartig. Hätten sie mehr Zeit gehabt, hätte sie Torak davon erzählt …
Ein Windstoß schüttelte
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