Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)
waren, würde er wahrscheinlich ertrinken. Außerdem wollte er Wolf nicht im Stich lassen.
Etwa zehn Schritt flussabwärts tat sich zwischen den Bäumen eine Lichtung auf. Torak roch Kiefernholzrauch und frisches Blut. Er sah vier große Rentierfellhütten, die anders gebaut waren, als er es kannte, und beängstigend viele Leute. Alle waren so beschäftigt, dass sie ihn gar nicht bemerkten. Mit von der Angst geschärften Sinnen prägte er sich jede Einzelheit überdeutlich ein.
Am Flussufer häuteten zwei Männer einen Keiler, der an einem Baum aufgehängt war. Den Bauch hatten sie ihm schon aufgeschlitzt, jetzt hatten sie die Messer weggesteckt und zogen ihm das Fell mit bloßen Händen ab, damit es keinen Schaden nahm. Dabei arbeiteten sie mit nacktem Oberkörper und trugen Schurze aus Fischhaut über den Beinledern. Mit den von gezackten, erhabenen Narben bedeckten muskulösen Oberarmen machten sie einen einschüchternd starken, kräftigen Eindruck. Aus dem Tierkadaver tropfte das Blut in einen Trog aus Birkenrinde.
Zwei Mädchen in kurzen Hirschlederhemden standen kichernd im seichten Wasser und wuschen die Eingeweide des erlegten Keilers aus. Daneben waren drei kleinere Kinder ganz darin vertieft, Schlammfladen herzustellen und mit Ahornzweigen zu verzieren. Zwei schlanke Lederkanus waren halb aufs Ufer gezogen. Ringsherum glitzerte der Boden von Fischschuppen und ein paar große Hunde taten sich an den Resten gütlich.
Mitten auf der Lichtung brannte ein Langfeuer aus Kiefernholz. Dort hatten ein paar Frauen ihre Weidenmatten ausgebreitet, knackten Haselnüsse, lasen die schlechten Beeren aus einem Korb Wacholderbeeren aus und unterhielten sich dabei leise. Keine sah Hord und Renn auch nur entfernt ähnlich. Ob die beiden wohl wie er selber ihre Eltern verloren hatten?, ging es Torak durch den Kopf.
In einiger Entfernung vom Feuer stellte eine alte Frau Pfeile her. Dazu steckte sie nadelspitze Feuersteinsplitter in die Schäfte und befestigte sie mit einer klebrigen Masse aus Kiefernblut und Bienenwachs. Auf ihr Wams war über die Brust ein rundes Knochenamulett mit einer eingeritzten Spirale genäht. Daraus schloss Torak, dass es sich um die Schamanin der Sippe handelte. Fa hatte ihm von Schamanen erzählt. Sie konnten Kranke heilen und sahen in ihren Träumen, wo das Wild zu finden war oder wie das Wetter wurde. Die Alte hier machte allerdings den Eindruck, als könnte sie auch Gefährliches vollbringen.
Am Feuer beugte sich ein hübsches Mädchen über ein Kochleder. Ihr Haar lockte sich im aufsteigenden Dampf und sie warf mit einem gegabelten Ast rot glühende Steine hinein. Es roch nach Fleischbrühe und Torak lief das Wasser im Mund zusammen.
Daneben kniete ein älterer Mann und spießte Hasen auf angespitzte Äste. Er hatte genauso braunrotes Haar und einen kurz gestutzten roten Bart wie Hord, aber das war auch die einzige Ähnlichkeit. Sein Gesicht war so unbewegt und hatte so markante Züge, dass es Torak an gemeißelten Sandstein erinnerte. Er dachte nicht mehr ans Essen. Niemand musste ihm sagen, dass dies ein mächtiger Mann war.
Jetzt löste Oslak die Lederriemen und gab Torak einen Stoß.
Sofort sprangen die Hunde mit wütendem Gebell auf. Die Alte machte eine rasche Handbewegung und die Tiere verstummten bis auf ein leises Knurren. Alle Blicke waren auf Torak gerichtet. Nur der Mann am Feuer fuhr unbeirrt mit seiner Tätigkeit fort. Als er fertig war, rieb er sich die Hände mit Sand sauber, erhob sich und sah den Ankömmlingen schweigend entgegen.
Das hübsche Mädchen lächelte Hord schüchtern an. »Wir haben dir ein bisschen Brühe aufgehoben.«
Torak vermutete, dass sie entweder die Gefährtin des jungen Mannes war oder es gern wäre.
Renn wandte sich nach Hord um und verdrehte die Augen. »Dyrati hat dir ein bisschen Brühe aufgehoben«, äffte sie das andere Mädchen nach.
So benimmt sich nur eine Schwester, dachte Torak.
Hord achtete nicht auf die beiden Mädchen, sondern trat zu dem Mann am Feuer und berichtete ihm kurz, was vorgefallen war. Torak fiel auf, dass er das Ganze so darstellte, als hätte er selbst und nicht Oslak den »Dieb« gefangen. Oslak schien das nicht zu stören, aber Renn warf ihrem Bruder einen ärgerlichen Blick zu.
Inzwischen hatten die Hunde Wolf gewittert. Mit gesträubtem Fell schlichen sie um Renn herum.
»Zurück!«, befahl das Mädchen. Die Hunde gehorchten. Renn verschwand in der nächsten Hütte und kam kurz darauf mit einem aufgerollten
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