Chronik der Silberelfen Bd. 1 - Zeit der Rebellen
Daumennagel über eine Falte im Leder.
„Ich meine, dass du immer meine Arbeit machen musst“, erklärte Conal geduldig.
Ich erstarrte. Ich war nicht Conals Knecht, und dass er so etwas sagte, hieß wohl, dass er tief in seinem Inneren meinte, ich hielte mich für seinen Knecht. Eine recht spitzfindige Deutung, ich weiß, aber mein Stolz war nun mal das Einzige, was ich besaß.
„Tut mir leid“, sagte er, nachdem er meine Gedanken gelesen hatte. „Das habe ich nicht gemeint.“
Ich sah ihn an. Seufzend legte er die Bürste beiseite und krempelte die Hemdsärmel bis zu den Ellbogen hoch. Wie bei allen Kämpfern waren auch seine Unterarme mit Narben übersät, die von Abwehrkämpfen herrührten. Gedankenlos kratzte er an dem frischen Schorf, den er einer Schwertkampf-Übung zu verdanken hatte. Aber es waren nicht seine Narben, an denen mein Blick hängen blieb, sondern etwas, was an seinem linken Handgelenk blitzte. Es war ein herrliches Schmuckstück und sie hatte es auf Hochglanz poliert. Ein wahres Meisterwerk.
Conals Hände erstarrten, als ihm klar wurde, was ich da gesehen hatte. Hastig zog er den Ärmel wieder herunter, um den silbernen Armreif zu verdecken. Aber es war zu spät.
„Seth“, sagte er und kaute auf seiner Unterlippe. „Sie ist dreizehn Jahre alt. Sie ist verknallt, mehr nicht.“
Ich stand auf, schleuderte ihm das Zaumzeug entgegen und stürmte hinaus.
„Seth, bleib stehen!“
Ich lief schneller.
„Seth!“ Die Wut in seiner Stimme übertönte seine Gewissensbisse. „Du bist verlieb t – aber in den Hass!“
Ich wirbelte herum und spuckte auf den Boden. Dann drehte ich mich wieder um und rannte aus der Festung.
Ich hastete über die Heide und über das glitzernde, verschlungene Muster der einsetzenden Ebbe, stolperte über Felsplatten und Trampelpfade, stürmte zwischen einer schwarzen Rinderherde hindurch, sodass die Tiere verängstigt auseinanderstieben. Ich blieb erst stehen, als mir alles gleichgültig war und ich völlig außer Atem auf der Spitze der Felsnase stand, die die Bucht überragte. Ich legte mich auf den Bauch und die Steine bohrten sich in meinen Leib. Ich blickte mit finsterer Miene zum blau schimmernden Horizont, zu den seidigen Wogen der See. Mit einem Wutschrei schlug ich auf den Felsen ein, dann noch mal und noch mal, rammte meine Knöchel in den Boden, bis ich spüren konnte, wie die Haut riss. Aber es tat immer noch nicht weh genug, also hob ich die Faust und ließ sie niedersausen, so fest ich konnte.
Auf halbem Wege wurde meine Hand mit festem Griff gepackt.
„Brich dir nicht die Schwerthand, du Dummkopf.“
In meinen Ohren rauschte das Blut, meine Hand bebte in seiner Umklammerung. Er kauerte sich vor mich hin und sah mir in die Augen. Ich bekam meine Hand nicht frei, er war einfach zu stark und ich vom Zorn zu sehr aus dem Gleichgewicht gebracht. Die Wucht, mit der mein Geist mit seinem zusammenprallte, war beinahe schmerzhaft.
„Es ist gut“, sagte er schließlich. „Alles gut.“
Als würde er mit seinem Pferd sprechen, diesem wilden, wahnsinnigen Teufelspferd. Und genau wie sein Pferd spürte ich, wie mich seine Worte besänftigten, wie mein Herzschlag langsamer wurde, der Schmerz des durch die Lunge hämmernden Atems langsam nachließ. Conal lockerte seinen Griff um meine Faust und begutachtete sie, dann rupfte er eine Handvoll Moos aus und drückte es auf meine blutigen Knöchel. Es fühlte sich feucht und kühl an und so beruhigend wie Conals Berührung. Ich schloss die Augen für den Fall, dass ich anfing zu weinen.
„Du kleiner Dummkopf“, sagte er wieder, sanfter diesmal.
Es kümmerte mich nicht, wie oft er mich einen Dummkopf nannte. Es waren die anderen Worte, die sich wie ein Stahlsplitter in meine Brust gebohrt hatten. Vielleicht lag es an der Wahrheit, die in ihnen schlummerte, aber ich hatte bislang keine Ahnung gehabt, dass Worte so sehr schmerzen konnten wie der Schnitt einer Klinge.
„Seth, bitte verzeih mir. Es tut mir leid, dass ich das gesagt habe, es war töricht von mir. Und es stimmt nicht. Du hättest jedes Recht, viel mehr Hass zu empfinden, als du empfindest.“
Er verstummte, setzte sich neben mich. Ich rappelte mich auf und ließ mir die Hand mit dem feuchten Moos betupfen. Immer wieder glitt sein Armreif hinauf und hinunter, während er das Blut abwischte, und er sah, dass ich es sah.
„Ich würde ihn dir ja schenken“, sagte Conal schließlich. „Aber das ist nicht das, was du willst, nicht
Weitere Kostenlose Bücher