Chronik der Silberelfen Bd. 1 - Zeit der Rebellen
besorgt gewesen, dass wir in dem Aufzug aus der Menge herausstechen würden wie Vogelscheuchen aus einem Kornfeld, aber entgeisterte Blicke hatten wir nur eine Woche lang geerntet. Die Leute hatten sich an uns gewöhnt. Und ich hatte mich an den Schleier gewöhn t – inzwischen fand ich ihn sogar richtig gut.
Dieser Mann aber hatte es auf uns abgesehen. Er sah nicht so aus, als würde er die Sache auf sich beruhen lassen. Ich merkte, wie meine Oberlippe sich angewidert kräuselte, und machte schnell wieder ein ausdrucksloses Gesicht.
„Der Kirchenrat hat verfügt“, sagte der Priester mit einem verkniffenen Lächeln, „dass diejenigen an den Pranger zu stellen sind, die ihrer Pflicht, den Gottesdienst zu besuchen, nicht nachkommen.“
Wir schauten ihn ungläubig an.
„Wie ich höre, hast du viel mit meine m … Vorgänger zu tun gehabt?“, fragte er scharf.
„Ja“, bestätigte Conal.
Der Priester schnalzte mit der Zunge. „Reverend Douglas war nicht gerade streng, wenn es darum ging, den Willen Gottes durchzusetzen. Ich hatte viel zu tun, als ich hierherkam.“
„Das tut mir leid“, fiel ich ihm ins Wort. „Ihr braucht vielleicht mal ein bisschen Entspannung. Schaut doch mal in Ma Sinclairs Wirtshaus vorbei.“
Für einen Moment fiel seine Maske und er starrte mich mit unverhohlenem Hass an. „Whisky“, zischte er, „ein abscheuliches Laster. Die Leute hier im Tal haben ihre Fehler und Sünden erkannt, sie wissen, welchen Versuchungen sie ausgesetzt sind.“ Seine Mundwinkel zuckten. „Ich hoffe, dass ich dasselbe sehr bald auch von euch behaupten kann.“
Nicht! Nicht spucken!, dröhnte es in meinem Kopf. Aber es kostete mich eine Menge Selbstbeherrschung, dem Widerling nicht vor die Füße zu spucken. Conal nickte und murmelte noch ein paar Nettigkeiten.
Nachdem er die Tür hinter dem Priester endlich geschlossen hatte, machte er die Augen zu und atmete geräuschvoll aus, als hätte er die Luft angehalten, seit der Mann über unsere Schwelle getreten war.
Dann drehte er sich zu mir um. „Hast du den Mann jemals bei Sonnenlicht gesehen?“
Ich überlegte. „Glaube schon. Es ist Sommer und der Kerl ist allgegenwärtig und nicht zu übersehen wie eine Warze auf der Nase.“
„Nein, ich meine, bei direkter Sonneneinstrahlung?“
„Keine Ahnung. Worauf willst du hinaus?“
Er zuckte die Achseln. „Ach, war nur so eine dumme Idee. Wahrscheinlich hat das alles nichts zu bedeuten. Schon gut.“
Ja, klar.
Er grinste mich an und dieser Anblick gefiel mir sehr. Endlich sah er wieder so aus wie der Conal, den ich kannte. Das war in letzter Zeit nicht oft vorgekommen und umso mehr freute es mich, ihn so zu sehen. Ein ängstlicher Conal jagte mir Angst ein.
Ich hatte keine Ahnung, wie wir uns vor diesem sterbenslangweiligen Sermon, der sich Gottesdienst schimpfte, erfolgreich drücken sollten, Conal würde sich etwas einfallen lassen müssen. Ich schwor ihm, dass ich mir die Kehle aufschlitzen würde, um meinem Leiden ein Ende zu setzen, wenn ich diesem Mann jemals bei einer seiner teuflischen Reden zuhören müsste. Ein langes Leben sei ja gut und schön, sagte ich zu Conal, aber es müsse auch lebenswert sein.
Mein Bruder hingegen war der Auffassung, dass wir uns fügen mussten. Ich hatte mich aber noch nie in meinem Leben gefügt. Außer vielleicht Conal, wenn er mich mal wieder zum Lernen zwang. Ich liebte ihn und wusste, dass er nur mein Bestes wollte. Aber zum Herrscher über mein Gewissen wollte ich ihn nicht ernennen.
All das ließ ich mir die Woche über durch den Kopf gehen, bis mir der Schädel wehtat. Am liebsten wäre mir gewesen, der Priester hätte uns einfach vergessen, ich wünschte, wir wären auch seinem Bewusstsein einfach entschlüpft, aber das passierte nicht. Jedes Mal, wenn ich ins Dorf ging, tauchte er dort auf und durchbohrte mich mit seinen blassen Augen. Und lächelte.
Er machte mir Angst.
Aber ich würde mich nicht fügen. Mein Leben mochte nicht mehr das meine sein, aber meine Seele gehörte mir. Ich würde nicht klein beigeben. Ich wollte nicht an den Pranger gestellt oder ausgepeitscht werden, und schon gar nicht wollte ich mich gegen Conal auflehnen. Er war mein Anführer und hatte das Recht, mich zu befehligen, und ganz sicher war er dazu fähig, mich gefügig zu prügeln und an den Haaren in die Kirche zu schleifen. Aber wenn ich vor diesem Priester kapitulierte, würde ich etwas in mir aufgeben, was mir sehr wichtig war, und ich würde es nie mehr
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