Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
in das Boot hinab, ohne den Umweg über die Treppe zu nehmen, balancierte das heftige Schwanken des Rumpfs mit einer unbewussten, aber geschickten Bewegung sofort aus und sah auffordernd zu ihnen hoch. Doch Andrej rührte sich nicht.
»Wohin fahren wir?«, fragte er. »Eure Signorina wollte uns hier treffen.«
»Der Weg ist nicht weit.« Der Mann wiederholte seine auffordernde Geste und wirkte nun verärgert. Wer immer er sein mochte, begriff Andrej, er war es nicht gewohnt, dass seine Anweisungen nicht sofort und widerspruchslos ausgeführt wurden. »Wir können zu Fuß gehen, wenn Ihr darauf besteht, aber das wäre nicht klug. Fremde sind im Arsenale nicht gerne gesehen.«
Vor allem Fremde wie Euer Freund, fügte sein Blick hinzu, so deutlich, dass Andrej für einen ganz kurzen Moment nicht einmal sicher war, ob er es nicht doch laut ausgesprochen hatte. Ebenso meinte er regelrecht hören zu können, wie Abu Duns Laune noch weiter sank, und ging rasch die drei Stufen zur Wasserlinie hinab und trat dann mit einem raschen Schritt in das flachrumpfige Boot hinein. Das Schaukeln verstärkte sich, als Abu Dun ihm folgte und sich einen Spaß daraus machte, sich so heftig auf die schmale Sitzbank fallen zu lassen, dass das Holz bedrohlich knirschte. Als auch ihr zweiter Begleiter an Bord kam, fiel Andrej ein weiterer Unterschied zu den allgegenwärtigen Gondeln auf: Die beiden Männer nahmen Platz und tauchten zwei Ruder ins Wasser, wodurch sich ihr Boot zwar sehr viel schneller bewegte als die kleineren Gefährte, aber für Unmut und einen Chor ärgerlicher Rufe, Beschwerden und Flüche sorgte, der ihnen folgte, nahmen sie doch nahezu die gesamte Breite des Kanals in Anspruch.
Andrej fiel allerdings auch auf, dass sich der Ausdruck auf den Gesichtern der meisten Gondoliere in eine Mischung aus Schrecken und ängstlichem Respekt verwandelte, während sie sie passierten, und auch ihre Verwünschungen deutlich leiser wurden und zum Großteil ganz verstummten. Abu Duns Anblick schien eine beeindruckende Wirkung auszuüben.
Falls es tatsächlich der Anblick des nubischen Riesen war.
Andrej kamen mehr und mehr Zweifel daran, während sich das Boot rücksichtslos durch die engen Kanäle zwängte und die schlanken Gondeln zwang, ihnen so weit auszuweichen, dass die sorgsam polierten Rümpfe mit einem hässlichen Geräusch an der gemauerten Wand des Kanals entlangschrammten.
Zum ersten Mal nahm er ihre beiden wortkargen Begleiter genauer in Augenschein. Ihrer auffälligen Kleidung hatte er bisher kaum eine Bedeutung beigemessen, aber vielleicht war das ein Fehler gewesen. Dass die Menschen in dieser Stadt eine Vorliebe für kräftige Farben und einen gewissen Prunk hatten, war auch hier beiderseits des Ufers unübersehbar, obwohl sie sich ganz gewiss nicht in einer der vornehmeren Gegenden der Stadt aufhielten (er nahm sich vor, sich zu erkundigen, was Carampane bedeutete), aber Kleidung und vor allem Auftreten dieser beiden unterschieden sich von dem der anderen Bewohner dieses Stadtteils.
Er fragte sich, wie er es bisher hatte übersehen können. Auch die beiden Männer waren farbenfroh gekleidet und wenig dezent, aber ihre Kleidung war edler und von ungleich besserer Qualität als das meiste, was er beiderseits des Kanals sah. Ihre Degen, die sie ganz bewusst so trugen, dass sie selbst unter den schweren Mänteln noch deutlich zu sehen waren, wirkten auf den ersten Blick wie der teure Zierrat angeberischer eitler Gecken, aber Andrej kannte sich zu gut aus, um sich täuschen zu lassen. In dem vermeintlichen Tand erkannte er robuste Waffen von ausgezeichneter Qualität, wie sie ihm in dieser Art noch nicht untergekommen waren, seit sie in Venedig weilten. Zusammen mit den aufmerksam-prüfenden Blicken, mit denen insbesondere der Größere sie maß, und der rücksichtslosen Art, mit der sie sich fortbewegten, gab das Andrej Anlass zu Rückschlüssen, die ihm ganz und gar nicht gefielen.
»Was meint ihr eigentlich in dieser wunderschönen Stadt, wenn ihr sagt: nicht sehr weit?« ,knurrte Abu Dun, nachdem sie eine Weile durch die Kanäle gepflügt waren und ein gutes halbes Dutzend Beinahe-Kollisionen verursacht hatten – von den vielen zerschrammten Gondeln und tobsüchtigen Gondoliere ganz zu schweigen.
»Wir müssen die breiteren Kanäle nehmen«, antwortete der Ältere, ohne im Mindesten auf Abu Duns scharfen Ton zu reagieren. »Der kürzere Weg ist zu schmal für das Boot. Aber es wird gleich besser. Nur noch einen
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