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Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten

Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten

Titel: Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Dummkopf, Marius, oder du hältst mich für einen. Glaubst du, ich weiß nicht, wozu diese Welt fähig ist? Welch absurde Mischung aus Barbarei und technologischem Scharfsinn das Denken des modernen Menschen ausmacht?«
    »Meine Königin, ich glaube nicht, daß du es weißt!« sagte Marius. »Ich glaube es wirklich nicht. Ich glaube nicht, daß du dir eine ausreichende Vorstellung davon machen kannst, wie die Welt ist. Keiner von uns kann das; sie ist zu mannigfaltig, zu unermeßlich; wir versuchen sie mit unserem Verstand zu erfassen, aber es gelingt uns nicht. Du kennst eine Welt, aber das ist nicht die Welt; es ist die Welt, die du aus Gründen, die in dir selbst liegen, aus einem Dutzend anderer Welten ausgewählt hast.« Akascha schüttelte in einem neuerlichen Anflug von Zorn den Kopf. »Stell meine Geduld nicht auf die Probe, Marius«, sagte sie. »Ich habe dich aus einem ganz einfachen Grund verschont. Weil Lestat es so wollte. Und weil du stark bist und mir von Nutzen sein kannst. Aber das ist auch alles, Marius. Sei auf der Hut.«
    Sie schwiegen beide. Sicher merkte er, daß sie log. Ich merkte es. Sie liebte ihn, und das demütigte sie, und deshalb versuchte sie, ihn zu verletzen. Und das war ihr gelungen. Schweigend schluckte er seine Wut hinunter.
    »Selbst wenn es möglich wäre«, drängte er sanft, »kannst du aufrichtig sagen, daß die Menschen so schlecht sind, daß sie eine solche Strafe verdient haben?«
    Ich fühlte, wie Erleichterung mich durchströmte. Ich hatte gewußt, daß er den Mut haben würde, ich hatte gewußt, daß er es fertigbringen würde, das Gespräch in ernsthafte Bahnen zu lenken, gleichgültig, wie sehr sie ihm drohte; er würde alles sagen, was ich zu sagen mich bemüht hatte.
    »Ach, jetzt widerst du mich an«, antwortete sie.
    »Akascha, zweitausend Jahre lang habe ich zugesehen«, sagte er. »Nenne mich den Römer in der Arena, wenn du willst, und erzähle mir Geschichten über die Zeiten, die vor mir verstrichen. Als ich zu deinen Füßen kniete, bettelte ich um dein Wissen. Aber was ich in dieser kurzen Zeitspanne miterlebt habe, hat mich mit Ehrfurcht und Liebe gegenüber allen Sterblichen erfüllt; ich habe Revolutionen im Denken und in der Philosophie erlebt, die ich für unmöglich gehalten habe. Nähert sich die Menschheit nicht eben von selbst schon dem Zeitalter des Friedens, das du uns schilderst?«
    Akaschas Gesicht drückte nichts als Verachtung aus.
    »Marius«, sagte sie, »dieses Jahrhundert wird als eines der blutigsten in der Geschichte der Menschheit in Erinnerung bleiben. Von was für Revolutionen sprichst du, wenn ein kleiner europäischer Staat auf die Laune eines Verrückten hin Millionen ausgerottet hat, wenn ganze Städte in Vergessenheit gebombt worden sind? Wenn Kinder in den Wüstenländern des Ostens im Namen eines despotischen Gottes aus alten Zeiten Krieg gegen andere Kinder rühren? Marius, in aller Welt spülen Frauen die Früchte ihres Schoßes in die Kanalisation. Das Geschrei der Hungernden ist ohrenbetäubend, doch wird es von den Reichen, die in technologischen Festungen
    herumspringen, nicht gehört; Seuchen grassieren unter den Hungernden ganzer Kontinente, während die Kranken in den Luxuskliniken den Reichtum der Welt auf kosmetische Veränderungen und die Verheißung ewigen Lebens durch Pillen und Phiolen verschwenden.« Sie lachte leise. »Haben die Schreie der Sterbenden jemals so stark in den Ohren derer unter uns geklungen, die sie hören können? Ist Jemals mehr Blut vergossen worden?«
    Ich konnte Marius’ Anspannung spüren. Ich konnte die Wut spüren, die ihn jetzt die Faust ballen und ihn in seiner Seele nach passenden Worten suchen ließ.
    »Es gibt etwas, das du nicht sehen kannst«, sagte er endlich. »Es gibt etwas, das du nicht verstehst.«
    »Nein, mein Lieber. An meiner Vision ist nichts falsch. Es war nie etwas falsch daran. Du bist es, der nicht versteht. Wie immer schon.«
    »Sieh dort hinaus auf den Wald!« sagte er und wies auf die gläsernen Wände um uns herum. »Suche dir einen Baum heraus;
    beschreibe ihn, wenn du willst, indem du aufzählst, was er vernichtet, wem er Trotz bietet und was er nicht vollbringt, und du hast ein Ungeheuer mit gefräßigen Wurzeln und von unwiderstehlicher Triebkraft, das den anderen Pflanzen das Licht, die Nahrung, die Luft stiehlt. Aber das ist nicht die Wahrheit über den Baum. Das ist nicht die ganze Wahrheit, wenn man ihn als Teil der Natur ansieht, und mit Natur meine ich

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