Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
und vielleicht wirst du mir dann verzeihen.«
Sie gab keine Antwort.
»Sag mir, was wünschst du dir wirklich? Geld spielt keine Rolle. Was wünschst du dir und kannst es nicht haben?«
Sie hob den Kopf und sah mich verstockt an; ihr Gesicht war rotfleckig und geschwollen, und dann wischte sie sich mit dem Handrücken über die Nase.
»Du weißt, was ich mir gewünscht habe«, sagte sie mit einer rauhen, unangenehmen Stimme, die beinahe geschlechtslos klang, so leise war sie.
»Nein, das weiß ich nicht. Sag es mir.«
Ihr Gesicht war so entstellt, ihre Stimme so fremd, daß ich Angst bekam. Ich war immer noch benommen von dem Wein, den ich getrunken hatte, aber mein Geist war durch den Rausch nicht beeinträchtigt. Es war eine entzückende Situation. Dieser Körper betrunken, aber nicht ich.
»Wer bist du?« fragte sie. Sie sah jetzt sehr hart aus, hart und bitter. »Du bist jemand, nicht wahr… du bist nicht bloß …« Aber ihre Stimme verklang.
»Du würdest es mir nicht glauben, wenn ich es dir erzählte.«
Sie drehte den Kopf heftig noch weiter zur Seite und musterte mich, als werde ihr gleich alles wieder einfallen. Gleich hatte sie’s. Ich konnte es mir nicht vorstellen, was da in ihrem Kopf vorging. Ich wußte nur, daß sie mir leid tat und daß ich sie nicht mochte. Ich mochte dieses schmutzige, unaufgeräumte Zimmer nicht, die niedrige Gipsdecke, das scheußliche Bett, den häßlichen braunen Teppich, das trübe Licht und das stinkende Katzenklo nebenan.
»Ich werde dich nicht vergessen«, sagte ich kläglich, aber zärtlich. »Ich werde dich überraschen. Ich komme wieder und bringe dir etwas Wunderbares mit, etwas, das du dir nie selbst beschaffen könntest. Ein Geschenk wie aus einer anderen Welt. Aber jetzt muß ich dich verlassen.«
»Ja«, sagte sie. »Du verschwindest besser.«
Ich wandte mich ab und wollte gehen. Ich mußte an die Kälte draußen denken, an Mojo, der im Hausflur wartete, und an das Stadthaus, dessen Hintertür aus den Angeln gerissen war und wo es weder Geld noch Telefon gab.
Ah, das Telefon.
Sie hatte ein Telefon. Ich hatte es auf der Frisierkommode stehen sehen.
Als ich mich umdrehte und darauf zuging, kreischte sie mich an und warf irgend etwas nach mir; ich glaube, es war ein Schuh. Er traf mich an der Schulter, aber es tat nicht weh. Ich nahm den Hörer ab, drückte zweimal die Null für ein Ferngespräch und wählte dann die Nummer meines New Yorker Agenten auf dessen Rechnung.
Es klingelte und klingelte. Niemand da. Nicht einmal sein Anrufbeantworter. Höchst merkwürdig und überaus unangenehm.
Ich sah sie im Spiegel, wie sie mich anstarrte, starrund stumm vor Wut, in die Decke gewickelt wie ein fließendes modernes Kleid. Wie erbärmlich das alles war, bis ins letzte Detail.
Ich rief in Paris an. Wieder läutete es eine Ewigkeit lang, aber schließlich meldete sich die vertraute Stimme - ich hatte meinen Agenten aus dem Bett geholt. Rasch berichtete ich ihm auf französisch, ich sei in Georgetown und brauche zwanzigtausend Dollar - nein, schicken Sie lieber dreißig, und zwar sofort.
Er erklärte mir, daß in Paris eben erst die Sonne aufgehe. Er werde warten müssen, bis die Banken öffneten, aber dann werde er mir das Geldtelegraphisch überweisen, sobald er könne. Es könne allerdings Mittag in Georgetown werden, ehe ich es bekäme. Ich prägte mir den Namen des Büros ein, wo ich es abholen könnte, und beschwor ihn, sich zu beeilen und mich nicht im Stich zu lassen. Dies sei ein Notfall, ich hätte keinen Penny, und ich hätte Verpflichtungen zu erfüllen. Er versicherte mir, es werde alles prompt erledigt werden. Ich legte auf.
Sie starrte mich an. Ich glaube nicht, daß sie etwas verstanden hatte; sie sprach kein Französisch.
»Ich werde mich an dich erinnern«, sagte ich. »Bitte verzeih mir. Ich gehe jetzt. Ich habe genug Ärger gemacht.«
Sie antwortete nicht. Ich schaute sie an und versuchte ein letztes Mal zu ergründen, weshalb sie mir so gewöhnlich und uninteressant erschien. Von welchem Standpunkt aus hatte ich die Dinge denn früher betrachtet, daß mir alles Leben so schön erschienen war, alle Geschöpfe wie Variationen desselben prachtvollen Themas? Sogar James war von grausig-glitzernder Schönheit gewesen, wie ein großer Mistkäfer oder eine Fliege.
»Good bye, ma chére«, sagte ich. »Es tut mir sehr leid - wirklich.«
Mojo saß geduldig draußen vor der Tür, ich eilte an ihm vorbei und befahl ihm mit einem
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