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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Fingerschnippen mitzukommen. Er gehorchte. Wir liefen die Treppe hinunter und hinaus in die kalte Nacht.
    Obwohl der Wind in die Küche fuhr und durch die Ritzen der Eßzimmertür kroch, war es in den anderen Räumen des Hauses immer noch recht wann. Ein Strom Heizungsluft wehte aus den kleinen Messinggittern längs der Fußböden; wie freundlich von James, daß er die Heizung nicht abgestellt hatte, dachte ich. Aber er hatte ja vor, dieses Haus sofort zu verlassen, wenn er seine zwanzig Millionen hätte. Die Heizrechnung würde nie bezahlt werden.
    Ich ging nach oben und durch das Schlafzimmer ins Bad. Es war ein angenehmer Raum mit neuen weißen Kacheln, sauberen Spiegeln und einer tiefen Dusche mit glänzenden Glastüren. Ich prüfte das Wasser. Der Strahl war kräftig und heiß. Köstlich heiß. Ich streifte die feuchten, muffig riechenden Kleider ab, legte die Socken auf das Heizungsgitter und faltete den Pullover ordentlich zusammen, denn er war der einzige, den ich hatte. Dann stand ich lange unter der heißen Dusche.
    Ich lehnte den Kopf an die Kacheln und wäre beinahe im Stehen eingeschlafen. Aber dann fing ich an zu weinen und gleich darauf ebenso spontan zu husten. Ich fühlte ein intensives Brennen in der Brust und das gleiche Brennen tief in meiner Nase.
    Schließlich trat ich aus der Dusche, frottierte mich ab und betrachtete den Körper noch einmal im Spiegel. Ich sah nirgends eine Narbe oder sonst ein Mal. Die Muskeln der Arme waren kräftig, aber glatt, und die der Brust ebenso. Die Beine waren wohlgeformt. Das Gesicht war wirklich schön, die dunkle Haut nahezu vollkommen, wenngleich seine Struktur noch viel Jungenhaftes hatte, wie es auch bei meinem eigenen Gesicht der Fall war. Es war weitgehend das Gesicht eines Mannes - rechteckig, ein bißchen hart, aber hübsch, sehr hübsch, vielleicht wegen der großen Augen. Es war auch ein bißchen rauh. Bartstoppeln. Mußte mich rasieren. Ärgerlich.
    »Aber eigentlich müßte es doch prachtvoll sein«, sagte ich laut. »Du hast den Körper eines sechsundzwanzigjährigen Mannes, und er ist in einem makellosen Zustand. Und doch war es bis jetzt ein Alptraum. Du hast einen dummen Fehler nach dem anderen begangen. Wieso bist du dieser Herausforderung nicht gewachsen? Wo ist dein Wille? Wo deine Kraft?«
    Ich fror am ganzen Körper. Mojo war auf dem Boden am Fußende des Bettes eingeschlafen. Das werde ich auch tun: schlafen, dachte ich. Schlafen wie ein Sterblicher, und wenn ich aufwache, wird das Tageslicht ins Zimmer scheinen. Selbst wenn der Himmel grau ist, wird es wunderbar sein. Es wird Tag sein. Du wirst die Tageswelt sehen, nach der du dich all die Jahre hindurch so gesehnt hast. Vergiß all diese abgrundtiefen Kämpfe, die Belanglosigkeiten, die Angst.
    Aber ein furchtbarer Verdacht beschlich mich. Hatte nicht auch mein sterbliches Leben nur aus abgrundtiefen Kämpfen und Belanglosigkeiten und Angst bestanden? Ging das nicht den meisten Sterblichen so? War das nicht die Botschaft zahlloser moderner Schriftsteller und Dichter - daß wir unser Leben mit törichten
    Ablenkungen vergeudeten? War das alles doch nicht bloß ein jämmerliches Klischee?
    Ich war zutiefst erschüttert. Ich versuchte noch einmal, auf mich selbst einzureden, wie ich es die ganze Zeit getan hatte. Aber was hatte es für einen Sinn?
    Es war ein schreckliches Gefühl, in diesem schwerfälligen menschlichen Körper zu sein! Es war ein schreckliches Gefühl, meine übernatürlichen Kräfte nicht mehr zu besitzen. Und die Welt - man mußte sie nur anschauen; sie war schmuddelig und schäbig, an den Rändern verschlissen und von Unfällen beherrscht. Ja, das meiste konnte ich nicht einmal sehen. Welche Welt?
    Ah, aber morgen! Herrgott, noch so ein elendes Klischee! Ich fing an zu lachen, und wieder überkam mich ein Hustenanfall. Diesmal tat es im Hals weh, und zwar ziemlich heftig, und meine Augen tränten. Am besten, ich schlief jetzt, ruhte mich aus, um desto besser auf meinen kostbaren Tag vorbereitet zu sein.
    Ich knipste die Lampe aus und schlug die Bettdecke zurück. Das Bett war sauber; dafür war ich dankbar. Ich legte den Kopf auf das Daunenkissen, zog die Knie an die Brust, deckte mich bis zum Kinn zu und schlief ein. Undeutlich war mir bewußt, daß ich sterben würde, wenn ein Feuer im Haus ausbrechen sollte. Wenn aus den Heizungsgittern Gas käme, würde ich sterben. Ja, es könnte jemand durch die offene Hintertür hereinkommen und mich umbringen. Alle möglichen

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