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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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herrschte ein reger Krankenwagenverkehr vor den Eingängen, und Ärzte in weißen Kitteln hatten alle Hände voll zu tun, um die Opfer von Verkehrsunfällen, Herzattacken, blutigen Messern oder ganz gewöhnlichen Pistolen in Empfang zu nehmen.
    Aber David Talbot hatte man weit abseits der grellen Lichter und des unablässigen Lärms untergebracht, in den stillen Bezirken eines höher gelegenen Stockwerks, das schlicht als Intensivstation bekannt war.
    »Du wartest hier«, sagte ich entschlossen zu David und schickte ihn in einen sterilen kleinen Warteraum mit trostlosen modernen Möbeln und ein paar verstreut liegenden, zerfledderten Zeitschriften. »Rühr dich nicht von der Stelle.«
    Im breiten Korridor herrschte absolute Stille. Ich ging auf die Tür am hinteren Ende zu.
    Schon nach wenigen Augenblicken kam ich zurück. David saß da und starrte ins Leere, die langen Beine übereinandergeschlagen, die Arme vor der Brust verschränkt. Wie einer, der aus einem Traum erwachte, blickte er schließlich auf.
    Ich fing wieder an, unkontrolliert am ganzen Körper zu zittern, und die heitere Ruhe seines Gesichtsausdrucks verstärkte nur mein Grauen und die mich furchtbar quälende Reue.
    »David Talbot ist tot«, flüsterte ich und hatte Mühe, verständliche Worte herauszubringen. »Er ist vor einer halben Stunde gestorben.«
    Er zeigte keinerlei erkennbare Reaktion. Es war, als hätte ich gar nichts gesagt. Und ich hatte nur noch einen einzigen Gedanken: Ich habe diese Entscheidung für dich getroffen! Ich war es. Ich habe den Körperdieb in deine Welt gebracht, obwohl du mich davor gewarnt hast. Und ich war es, der den anderen Körper niederschlug! Und nur der Himmel weiß, was du fühlen wirst, wenn du erst begreifst, was passiert ist. Im Grunde weißt du es noch nicht.
    Langsam erhob er sich.
    »O doch, ich weiß es«, sagte er mit dünner, vernünftiger Stimme. Er kam auf mich zu und legte mir die Hände auf die Schultern, und seine ganze Haltung war so sehr wie früher, daß ich das Gefühl hatte, zwei Wesen zu sehen, die zu einem verschmolzen waren. »Es ist Faust, mein geliebter Freund«, sagte er. »Und du warst nicht Mephistopheles. Du warst nur Lestat, der im Zorn zugeschlagen hat. Und jetzt ist es erledigt!«
    Er tat langsam einen Schritt zurück und starrte wieder mit diesem benommenen Ausdruck ins Leere, und sofort verlor sein Gesicht die Spuren der Bestürzung. Er war in seine eigenen Gedanken vertieft, isoliert und von mir abgeschnitten, während ich zitternd dastand und versuchte, meine Beherrschung wiederzufinden, zu glauben versuchte, es sei das gewesen, was er gewollt hatte.
    Und dann wieder sah ich es aus seiner Perspektive. Wie hätte er sich etwas anderes wünschen können? Und noch etwas wußte ich.
    Ich hatte ihn für immer verloren. Jetzt würde er nie mehr, nie mehr einwilligen, mit mir zu kommen. Jeder Hauch einer Chance war mit diesem Wunder restlos vertan. Wie konnte es anders sein? Ich spürte, wie die Erkenntnis mich durchdrang, tief und lautlos. Und ich dachte wieder an Gretchen und an den Ausdruck in ihrem Gesicht. Und für einen kurz aufstrahlenden Moment war ich wieder mit diesem falschen David im Zimmer, und er schaute mich mit diesen dunklen, schönen Augen an und sagte, er wolle das Geschenk der Finsternis.
    Ein Schimmer von Schmerz durchzog mich und wurde heller und stärker, als brenne ein gräßliches, alles verzehrendes inneres Feuer in meinem Körper.
    Ich sagte nichts. Ich starrte zu den häßlichen Leuchtstofflampen in der gekachelten Decke hinauf; ich starrte die nichtssagenden Möbel an, fleckig und verschlissen, ich starrte eine schmutzige Zeitschrift mit einem grinsenden Kind auf dem Cover an. Ich starrte ihn an. Langsam verblaßte der Schmerz zu einem dumpfen Leiden. Ich wartete. Ich hätte um nichts in der Welt ein Wort sagen können, nicht in diesem Augenblick.
    Nachdem er lange Zeit still versonnen dagesessen hatte, schien er wie aus einem Zauberbann zu erwachen. Die ruhige, katzenhafte Anmut seiner Bewegungen faszinierte mich, wie sie es die ganze Zeit getan hatte. Murmelnd erklärte er, er müsse den Leichnam sehen. Das werde sich doch sicher bewerkstelligen lassen.
    Ich nickte.
    Ergriff in die Tasche und holte einen kleinen britischen Paß heraus -zweifellos den falschen Paß, den er in Barbados erhalten hatte-, und er betrachtete ihn, als versuche er, ein kleines, aber sehr wichtiges Geheimnis zu ergründen. Dann hielt er mir den Ausweis entgegen, ich begriff

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