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Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Titel: Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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hübsches Lachen aus. »Aber sicher, David, komm herein.«
    Als ich den Blick nach links wandte, durchfuhr mich ein Schreck. Ein großer Altar aus Marmor war dort zwischen den beiden Frontfenstern errichtet worden, und dort entdeckte ich die alte, vielköpfige Gipsheiligensammlung. Die Jungfrau Maria mit ihrer Krone und der Karmeliterrobe hielt das strahlende Jesuskind im Arm und lächelte unschuldig darauf nieder. Einige Teile waren neu dazugekommen. Ich erkannte die Heiligen Drei Könige der christlichen Schriften und Sagen. Aber verstehen Sie, der Altar war keine Weihnachtskrippe. Die Weisen aus dem Morgenland waren einfach nur dem prächtigen Aufmarsch heiliger Gestalten hinzugefügt worden, ohne besonderen Bezug zu den anderen Figuren.
    Ich entdeckte auch einige der geheimnisvollen Jadeobjekte zwischen den Heiligen, unter anderem ein niederträchtig aussehendes kleines Götzenbild mit einem Herrscherstab, den es in eifriger Pflichterfüllung oder zum Angriff bereithielt. Zwei weitere ziemlich bösartige Gestalten befanden sich rechts und links von dem Petrusstandbild. Und genau vor ihnen lag die grüne Jadeklinge mit dem Kolibrigriff, eines der schönsten Artefakte in Merricks großer Sammlung.
    Die herrliche Obsidianaxt, die ich schon einmal gesehen hatte, nahm einen Ehrenplatz zwischen der Jungfrau Maria und dem Erzengel Michael ein und schimmerte in dem gedämpften Licht wunderschön. Aber die vielleicht erstaunlichsten Gegenstände auf dem Altar waren die Daguerreotypien und Fotografien von Merricks Verwandtschaft. Wie man sie anderswo auf dem Klavier im Salon findet, so standen sie hier dicht an dicht gereiht, und ihre zahllosen Gesichter verloren sich im Dämmerlicht.
    Vor dem ganzen Aufbau brannte eine doppelte Reihe Kerzen. Eine große Anzahl Vasen war mit dicken Sträußen frischer Blumen gefüllt. Alles schien regelmäßig abgestaubt zu werden und wirkte sauber, das heißt allerdings, nur, bis ich merkte, dass die verschrumpelte Hand ebenfalls einen Platz unter den Opfergaben gefunden hatte. Abstoßend hob sie sich von dem weißen Marmor ab, unverändert so, wie ich sie vor langer Zeit zum ersten Mal ge sehen hatte.
    »Um der alten Zeiten willen?«, fragte ich, indem ich auf den Altar deutete.
    »Sei nicht komisch«, murmelte Merrick. Sie führte eine Zigarette an die Lippen. Ich erblickte die Schachtel auf dem kleinen Tischchen - es waren Rothmans, Matthews alte Sorte. Meine übrigens auch. Merrick rauchte hin und wieder, genau wie ich. Trotzdem ich musste die junge Frau erst einmal scharf mustern. War das wirklich meine geliebte Merrick? Meine Haut hatte zu prickeln begonnen, ein Gefühl, das ich verabscheue. »Merrick?«, fragte ich.
    Als sie zu mir aufsah, wusste ich, dass sie es war, da hatte sich kein anderer in ihrem hübschen jungen Körper eingenistet, und ich merkte auch, dass sie gar nicht so sehr betrunken war. »Setz dich, David, Lieber«, sagte sie ernst, fast traurig. »Da, nimm den bequemen Lehnstuhl. Ich bin wirklich froh über dein Kommen.«
    Ich war sehr erleichtert, dass sie diesen vertrauten Ton anschlug. Ich ging an ihr vorbei durch den Raum und ließ mich in dem Sessel nieder, von dem aus ich ihr Gesicht sehen konnte. Der Altar ragte drohend hinter meiner Schulter auf, mit all den kleinen Gesichtern auf den Fotos, die mich anstarrten wie damals schon. Ich mochte das nicht, stellte ich fest, genauso wenig, wie ich all die fühllosen Heiligen und die bedrückten Weisen mochte, obwohl ich zugeben musste, dass es ein geradezu blendendes Schauspiel war.
    »Warum müssen wir bloß in diesen Dschungel, Merrick?«, fragte ich. »Was hat dich nur dazu gebracht, für diese Idee alles stehen und liegen zu lassen?«
    Sie antwortete nicht so fort. Ohne die Augen von dem Altar abzuwenden, nahm sie einen Schluck Rum aus ihrem Glas. In der Pause, die entstand, entdeckte ich an der Wand neben der Zimmertür ein großes Porträt von Onkel Vervain. Ich wusste sofort, dass dieses Gemälde eine kostspielige Vergrößerung des Bildes war, das Merrick uns vor Jahren gezeigt hatte. Die Arbeit war in den gleichen weichen Sepiafarben wie das Original ausgeführt und zeigte Onkel Vervain in seiner Jugendblüte. Einen Ellbogen bequem auf eine griechische Säule gestützt, schien er mich mit leuchtenden, hellen Augen kühn anzuschauen. Selbst in dem wabernden Dämmerlicht fielen mir die gut geschnittene breite Nase und die schön geschwungenen vollen Lip pen auf. Die hellen Augen allerdings gaben dem Gesicht

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