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Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Titel: Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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sofort zu dem Vorraum, aber ich hatte die Gegenwart dieses Geschöpfes schon gespürt, ehe ich sah, wer es war. Es war Mael.
    Ich erkannte ihn sofort. Er hatte sich nicht verändert, genauso wenig wie ich, nur hatte er der Mode dieser Epoche wie immer schon wenig Beachtung geschenkt.
    Grässlich sah er aus in seinem abgenutzten Lederwams und zerlöcherten Beinkleid, und seine Stiefel wurden von Schnüren zusammengehalten. Sein Haar war schmutzig und verfilzt, doch er trug eine erstaunlich fröhliche Miene zur Schau, und als er mich erblickte, kam er mir entgegen und umarmte mich.
    »Du bist wirklich hier«, sagte er ganz leise, als ob wir unter meinem Dach flüstern müssten. Er sprach das Latein der Antike. »Ich hörte Gerüchte, aber ich konnte es nicht glauben. Ach, ich bin so froh, dich zu sehen. Ich bin froh, dass du immer noch…«
    »Ja, ich weiß, was du sagen willst«, antwortete ich. »Ich bin immer noch der Wächter über die verrinnende Zeit; ich bin immer noch der Beobachter, der die Zeit in Dem Blut überdauert.«
    »Oh, du kannst es viel besser formulieren als ich«, meinte er. »Aber lass mich wiederholen: Ich bin so froh, dich zu sehen, deine Stimme zu hören.«
    Ich sah, dass er über und über mit Staub bedeckt war. Er sah sich im Zimmer um, betrachtete das kunstvolle, von Putten und goldenem Blattwerk eingerahmte Deckengemälde und heftete den Blick auf das noch unfertige Wandbild. Ich fragte mich, ob er wusste, dass ich es gemalt hatte.
    »Mael, voller Staunen, wie immer«, sagte ich lächelnd, während ich ihn sanft aus dem Lichtkreis der Kerzen schob. »Du siehst wie ein Landstreicher aus.«
    »Ob du mir wohl auch jetzt wieder Kleider anbietest?«, fragte er. »Weißt du, mit diesen Dingen komme ich nie zu Rande. Aber bedürftig bin ich wohl. Und du lebst hier ja wie immer aus dem Vollen. Für dich gibt es wohl nie irgendwelche Rätsel, Marius.«
    »Alles ist ein Rätsel, Mael«, entgegnete ich. »Aber schöne Kleider habe ich immer. Wenn die Welt untergeht, werde ich dem Anlass gemäß zumindest gut gekleidet sein, ob am helllichten Tage oder im Dunkel der Nacht.«
    Ich nahm ihn beim Arm und schob ihn durch diverse Säle in mein Schlafgemach. Er betrachtete die Gemälde ringsum mit gehöriger Ehrfurcht und ließ sich widerstandslos führen.
    »Bleib bitte hier und halte dich fern von meinen sterblichen Mitbewohnern«, sagte ich, »du würdest sie nur irritieren.«
    »Ah, und wieder hast du es so gut hingekriegt!«, sagte er. »Im alten Rom war es allerdings leichter, nicht wahr? Was hast du für einen Palast hier! Ein König könnte dich beneiden, Marius!«
    »Ja, so scheint es«, antwortete ich lässig.
    Ich ging zu den Schränken nebenan, die eigentlich kleine Kammern waren, und nahm Kleidung für ihn heraus und Lederschuhe. Er schien kaum allein fähig, sich anzukleiden, aber ich mochte ihm nicht helfen, und nachdem ich alles auf das samtbezogene Bett gelegt hatte – in der richtigen Reihenfolge, wie für ein Kind oder einen Schwachsinnigen –, nahm er die Teile nach und nach in Augenschein, und es schien, er käme allein zurecht.
    »Wer hat dir gesagt, wo ich bin, Mael?«, fragte ich.
    Er schaute mich an, und für einen Moment war seine Miene kalt, die vertraute Hakennase unangenehm wie je. Seine tief liegenden Augen glänzten stärker, und der Mund war feiner geformt, als ich es in Erinnerung hatte. Vielleicht hatte die Zeit der Form seiner Lippen die Härte genommen. Ich weiß nicht, ob das vorkommen kann. Aber er wirkte durchaus interessant, dieser Unsterbliche.
    »Du sagtest, du hättest gehört, dass ich hier lebe«, sagte ich, seiner Erinnerung nachhelfend. »Von wem denn?«
    »Oh, ein ziemlich närrischer Bluttrinker«, sagte er und schüttelte sich, »ein verrückter Teufelsanbeter. Er hieß Santino. Sterben die eigentlich nie aus? Ich traf in Rom auf ihn. Stell dir vor, er bestürmte mich, ich solle mich ihnen anschließen!«
    »Warum hast du ihn nicht getötet?«, fragte ich niedergeschlagen. Das alles war so grausam, so fern von all dem, was ich hier liebte – von den Jungen, die bei ihrem Nachtmahl saßen, von den Lehrern, die über den heutigen Unterricht diskutierten, vom hellen Licht und der Musik.
    »Du pflegtest sie zu vernichten, wenn du auf sie trafst. Was hielt dich dieses Mal davon ab?« Er zuckte mit den Schultern. »Mich interessiert nicht, was in Rom vor sich geht. Ich blieb nicht einmal eine ganze Nacht dort.« Ich schüttelte den Kopf. »Wie hat der Bursche

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