Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
in meinem Kopf! Ja, von ihrem fernen Thron aus hätte sie mich warnen können, das wäre ihr doch möglich gewesen. Aber wie konnte ich das von jemandem verlangen, der sich seit tausend Jahren nicht geregt, nicht gesprochen hatte?
Würde ich denn nie klug?
Und was sollte ich mit Bianca machen, die mich zitternd um Beachtung bat? Ich fuhr aus meiner Versunkenheit hoch.
»Nein, wir machen, was du ursprünglich vorhattest«, sagte sie nun in jammervollem Ton. »Tut mir Leid, dass ich so schwach war. Dabei hatte ich doch versprochen, genauso stark wie Amadeo zu sein. Das will ich jetzt auch! Ich bin bereit zu gehen.«
»Nein, bist du nicht«, entgegnete ich, »du hast nur mehr Angst davor, allein hier zurückzubleiben. Du hast Angst, dass ich dann nie mehr wiederkomme.«
Sie nickte so widerwillig, als hätte ich sie zu diesem Geständnis gezwungen. Dann sagte sie leise: »Ich habe Durst.« Die Worte klangen irgendwie gewählt. »Ich habe Durst auf Blut. Ich muss mitgehen.«
»Gut dann, meine hübsche, süße Gefährtin. Bald wirst du Kraft haben, sie wird sich in deinem Herzen einnisten. Hab keine Angst. Es gibt so vieles, was ich dich lehren kann, und im Laufe der nächsten Nächte, wenn wir uns ein wenig getröstet haben, werde ich dir von anderen Bluttrinkern erzählen, die ich kenne, von ihrer Kraft und ihrer Schönheit.« Wieder nickte sie und machte große Augen.
»Liebst du mich?«, fragte sie und lächelte, obwohl ihr die Tränen über die Wangen liefen.
»Natürlich liebe ich dich«, sagte ich. »Niemanden liebe ich so wie dich. Du bist hier, oder? Und als du mich am Boden zerstört sahst, schenktest du mir deine Kraft, um mich zu retten.« Es war eine kühle Antwort, der es an Schmeichelei und Güte mangelte, doch schien sie Bianca zu genügen, und mir fiel auf, wie anders sie doch war als die, die ich bisher geliebt hatte – Pandora mit ihrer Weisheit, Amadeo mit seiner schnellen Auffassung. Sie schien mit einem entzückenden Wesen und mit Intelligenz gleichermaßen gesegnet zu sein.
Ich nahm sie mit die Treppe hinauf. Die Kerze ließen wir unten brennen, wie ein Signallicht für unsere Rückkehr. Ehe ich die Tür öffnete, lauschte ich gründlich, ob irgendeiner von Santinos Brut draußen war. Doch alles war ruhig. Leise bewegten wir uns durch die engen Kanäle im Westen der Stadt, wo es am gefährlichsten war. Dort fanden wir wieder neue Opfer, ohne große Gegenwehr boten sie uns reichlich Blut. Die Körper versenkten wir anschließend im schmutzigen Wasser.
Bianca, nach dem vielen Blut von Wärme und Duft eingehüllt, hielt schon längst die schwarzen, nass glänzenden Mauern scharf im Auge, doch ich fühlte mich immer noch ausgetrocknet, wie innerlich verdörrt. Der Schmerz war schrecklich, aber das Blut linderte ihn, wenn es durch meine Glieder rann. Erst gegen Morgen kehrten wir in unser Versteck zurück. Meine Genesung hatte Fortschritte gemacht, doch Arme und Beine waren immer noch wie aus dürrem, verkohltem Holz, und als ich unter der Maske nach meinem Gesicht tastete, schien es mir unheilbar verbrannt.
Wie lange würde meine Genesung dauern? Ich wagte es weder mir selbst noch Bianca einzugestehen.
Ich wusste, dass wir in Venedig nicht auf viele so erfolgreiche Nächte zählen konnten. Es würde sich herumsprechen. Die Diebe und Mörder würden nach uns Ausschau halten – nach der weißhäutigen Schönheit und dem Mann mit der schwarzen Maske. Ich musste wissen, ob ich die Gabe des Schwebens schon wieder beherrschte. Ob ich Bianca auf dem Weg zum Schrein tragen könnte? Würde ich die Strecke überhaupt in einer Nacht schaffen, oder scheiterte ich, und wir müssten im Morgengrauen verzweifelt irgendwo im Unbekannten nach einem Versteck suchen? Bianca legte sich rasch schlafen, ohne Furcht vor dem Sarg. Anscheinend wollte sie mir, indem sie mir ihre Kraft bewies, Trost schenken. Zwar konnte sie mich nicht küssen, aber sie drückte einen Kuss auf ihre zarten Fingerspitzen und blies ihn zu mir herüber.
Mir blieb noch eine Stunde bis zum Morgen, und so schlüpfte ich noch einmal hinaus bis auf das Dach des Hauses, wo ich die Arme zum Himmel streckte – und tatsächlich schwebte ich innerhalb von Sekunden hoch über der Stadt. Ich konnte mich ganz mühelos fortbewegen, als wäre mir diese Gabe nie abhanden gekommen, und dann hatte ich die Stadt auch schon weit, ganz weit hinter mir gelassen und schaute auf sie zurück mit ihren vielen goldenen Lichtern und dem seidig schimmernden Meer.
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