Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
der Züge, wie bei Tieren ohne Verstand.
Doch dann war da bei Der Mutter eine Veränderung. Kaum merklich hob sich ihre Hand aus ihrem Schoß, drehte sich und zeigte so die schlichteste einladende Geste. Dies erstaunte mich. Lebten und atmeten diese Geschöpfe? Oder war es ein Trick, eine Art Zauber? Ich wusste es nicht. Mein Begleiter, selbst in diesem geheiligten Augenblick plump wie immer, sagte: ›Na, geh zu ihr, trink ihr Blut. Sie ist unser aller Mutter.‹ Dabei stieß er mich mit seinem nackten Fuß. ›Sie war die Erste‹, fügte er hinzu, ›trink von ihr!‹
Die anderen Bluttrinker machten ihm heftige Vorwürfe; in der alten ägyptischen Sprache sagten sie, dass diese Geste nicht eindeutig wäre, dass die Mutter mich vernichten könnte, und wer er überhaupt sei, dass er mir einen solchen Befehl erteilte, und wie er es überhaupt wagen könne, mit einem jämmerlichen weiblichen Bluttrinker, der ebenso schmutzig und ungelehrt wie er selbst sei, hier in diesen Tempel zu kommen. Aber er ignorierte sie. ›Trink ihr Blut, und du wirst unvergleichlich stark!‹ Dabei stellte er mich auf die Füße und stieß mich so heftig vorwärts, dass ich mit den Händen die Marmorstufen vor dem Thron berührte.
Die anderen Bluttrinker waren entsetzt. Ich hörte, wie mein ›Schöpfer‹ ein leises Lachen ausstieß. Aber meine Augen hafteten auf Dem König und Der Königin. Ich sah, dass Die Königin ihre Hand noch einmal bewegt hatte, sie hatte ihre Hand geöffnet, und obwohl sich der Ausdruck ihrer Augen nicht veränderte, so machte sie nun ganz gewiss eine einladende Geste. ›Trink von ihrer Kehle‹, sagte mein Begleiter. ›Hab keine Angst. Die, die sie zu sich winkt, hat sie noch nie vernichtet. Tu, was ich dir sage.‹ Und ich tat es.
Ich trank so viel von ihr, wie ich nur schlucken konnte. Und höre wohl, Marius: Das war mehr als dreihundert Jahre, bevor Die Mutter und Der Vater der Sonne ausgesetzt wurden. Und ich sollte mehr als einmal von ihr trinken, hörst du? Mehr als einmal! Und das lange bevor du nach Alexandria kamst, lange bevor du unseren König und unsere Königin mit dir fortnahmst.« Sie hob die dichten schwarzen Augenbrauen leicht, während sie mich ansah, als wolle sie, dass ich diese wichtige Aussage genau verstand: Dass sie sehr, sehr stark war.
»Aber Eudoxia«, sagte ich, »als ich nach Alexandria kam, auf der Suche nach Dem Vater und Der Mutter, um herauszufinden, wer sie der Sonne ausgesetzt hatte, da warst du nicht in diesem Tempel. Du warst nicht in Alexandria. Zumindest hast du dich mir nicht zu erkennen gegeben.«
»Nein«, antwortete sie, »ich war in Ephesus; ich war mit einem Bluttrinker dorthin gegangen, der dann von dem Schreckensfeuer getötet wurde. Als du Die Mutter und Den Vater fortbrachtest, war ich gerade auf dem Weg nach Alexandria, um zu ergründen, warum wir alle verbrannten, und um von dem heilenden Urquell zu trinken.«
Sie schenkte mir ein feines, aber kaltes Lächeln. »Kannst du dir meine Qual vorstellen, als ich entdeckte, dass der Älteste tot und der Tempel leer war? Als die wenigen Überlebenden des Tempels mir erzählten, dass ein Römer namens Marius gekommen war und unser Königspaar gestohlen hatte?« Ich sagte nichts, konnte ihren Unmut jedoch nicht übersehen. Ihr Gesicht spiegelte menschliche Gefühle. Schimmernde blutige Tränen rannen aus ihren Augen.
»Die Zeit heilte mich, Marius«, sagte sie, »weil eine ganze Menge vom Blut der Königin in mir fließt und ich von Anfang an sehr stark war. In der Tat hatte das Schreckensfeuer mich nur dunkelbraun verbrannt, ohne mir übermäßige Schmerzen zuzufügen. Aber wenn du Akasha nicht fortgebracht hättest, dann hätte sie mich von ihrem Blut trinken lassen, und ich wäre schnell wieder gesundet. Es hätte nicht so lange gedauert.«
»Und würdest du nun von Der Königin trinken, Eudoxia?«, fragte ich. »Hast du das vor? Denn sicherlich weißt du doch, warum ich tat, was ich tat! Gewiss weißt du, dass der Älteste der Täter war, dass er Die Mutter und Den Vater der Sonne aussetzte.« Sie gab keine Antwort. Ich wusste nicht, ob diese Information sie überraschte. Sie hatte ihre Gedanken perfekt verborgen. Dann sagte sie: »Brauche ich denn das Blut, Marius? Schau mich an! Was siehst du?«
Ich zögerte mit der Antwort. »Nein, du brauchst es nicht, Eudoxia, sieht man davon ab, dass dieses Blut immer segensreich ist.« Sie sah mich lange an, dann nickte sie langsam, fast träumerisch, und ihre
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