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Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)

Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)

Titel: Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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»intellektuell extrem frühreifes Kind mit eigentümlicher Konstitution« in ›The Dunwich Horror‹ genau jene ist, in der Lovecraft selbst aufgewachsen ist.
    Lovecraft hat seiner Novelle – wie er es gerne tut – ein literarisches Motto vorangestellt, diesmal aus einem Essay von Charles Lamb (1775–1834), ›Witches and Other Night Fears‹. Lovecraft hat diesen geistreichen Essayisten sehr geschätzt; er besaß in seiner Bibliothek nicht nur seine gesammelten Werke, sondern auch seine Briefe. Lamb entfaltet hier so etwas wie eine Archetypenlehre: Erfundene Monster können in uns nur deshalb etwas auslösen, weil sie verborgene, altertümliche Assoziationen, ererbte Ängste in uns ansprechen. Die Schrecken der Gorgonen, Hydras und Chimären (zu denen sich dann Lovecrafts Wilbur Whateley nebst seinem dämonischen Zwillingsbruder gesellen) sind nicht körperlicher, sondern spiritueller Natur (so wörtlich Lamb). Lovecraft konnte sich mit dieser Aussage offenbar gut identifizieren. Was will sie an dieser Stelle besagen? Doch wohl, dass es in ›The Dunwich Horror‹ nicht so sehr um die körperliche Gefahr durch ein Menschen verschlingendes Monster in einem entlegenen Tal in Neuengland geht, sondern mehr noch um ein Symbol für die Macht fremder Bedrohung, die in unsere Welt einbricht und ihre rationale Ordnung, ihre überschaubare Beherrschbarkeit infrage stellt. Eben das habe ich auch mit der Gattungsbezeichnung »Anti-Idylle« zur Sprache zu bringen versucht. Lovecrafts Erzählung illustriert, was Lamb sozusagen als einen Baustein einer Fantastik-Theorie formuliert.

Das Grauen von Dunwich
    Gorgonen und Hydren und Chimären – grässliche Geschichten von Celaeno und den Harpyien – mag das Hirn des Abergläubischen hervorbringen – doch gab es sie schon vorher. Es sind dies Kopien, Muster – die Archetypen sind in uns, und ewig. Wie sonst könnte die Schilderung dessen, was wir bei wachem Verstand als falsch erachten, überhaupt eine Wirkung auf uns ausüben? Liegt es daran, dass wir von Natur aus Grauen vor solchen Dingen empfinden, wenn wir die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass sie uns körperliches Leid zufügen könnten? Aber keineswegs! Jene Schrecken sind weit älteren Ursprungs. Sie sind älter als der Körper – und ohne den Körper wären sie dieselben … Dass die hier behandelte Furcht rein spiritueller Natur ist – dass sie umso stärker ist, als sie auf Erden gegenstandslos zu sein scheint, dass sie in der unschuldigen Zeit der frühen Kindheit vorherrscht – das alles sind Fragen, deren Lösung einen glaubhaften Einblick in unseren vormenschlichen Zustand, zumindest aber einen verstohlenen Blick ins Schattenland der Vorexistenz gewähren könnte.
    Charles Lamb: Witches and Other Night-Fears
    Nimmt im nördlichen Massachusetts ein Reisender an der Kreuzung der Aylesbury-Mautstraße kurz hinter Dean’s Corners die falsche Abzweigung, so kommt er in ein einsames und merkwürdiges Land. Das Gelände steigt an, und die von Rosensträuchern gesäumten Steinmauern drängen sich immer näher an die zerfurchte, staubige und kurvenreiche Straße. Die Bäume der zahlreichen Waldgebiete wirken unnatürlich groß, und die Wildsträucher, Dornengestrüppe und Gräser sind von einer Üppigkeit, wie man sie in dicht besiedelten Gebieten nicht findet. Die wenigen bestellten Felder erscheinen öde und unfruchtbar, während die spärlich verstreuten Häuser erstaunlicherweise allesamt von Alter, Verwahrlosung und Verfall gezeichnet sind.
    Ohne zu wissen, warum, zögert man, die knorrigen, einsamen Gestalten, die man dann und wann auf zerfallenen Veranden oder auf den abschüssigen, steinübersäten Weiden erblickt, nach dem Weg zu fragen. Diese Leute sind so schweigsam und von einer solchen Verstohlenheit, dass einen ungewollt das Gefühl überkommt, sich etwas Verbotenem zu nähern, mit dem man besser nichts zu schaffen hat. Dieses seltsame Unbehagen verstärkt sich noch, wenn die ansteigende Straße einen Blick auf die Berge eröffnet, die die tiefen Wälder überragen. Ihre Gipfel wirken zu glatt und zu symmetrisch, um das Gefühl angenehmer Natürlichkeit geben zu können, und sonderbare Steinkreise, von denen die meisten Berge gekrönt sind, zeichnen sich bisweilen in außerordentlicher Klarheit vor dem Himmel ab.
    Felsschluchten und Schründe von unergründbarer Tiefe unterbrechen den Weg, und die roh gezimmerten Holzbrücken scheinen nur zweifelhafte Sicherheit zu bieten. Die Straße führt dann

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