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Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)

Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)

Titel: Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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kriegen könn’«, murmelte er mit seiner tiefen Bassstimme.
    Wilbur war zu diesem Zeitpunkt ein Gelehrter von wahrhaft erstaunlicher, wenn auch einseitiger Belesenheit, der durch seinen heimlichen Briefwechsel vielen Bibliothekaren an fernen Orten, wo seltene und verbotene Bücher aus alter Zeit aufbewahrt wurden, bekannt war. In Dunwich hasste und fürchtete man ihn zunehmend, da mehrere Jugendliche verschwunden waren und ein vager Verdacht auf ihn fiel; doch Nachforschungen wusste er stets zum Schweigen zu bringen, weil er Furcht verbreitete oder Gebrauch von den alten Goldstücken machte, die er wie sein Großvater regelmäßig für den Vieherwerb ausgab. Er besaß nun ein erschreckend reifes Aussehen, und sein Körper, der bereits die Größe eines normalen Erwachsenen erreicht hatte, schien noch darüber hinaus wachsen zu wollen. Im Jahre 1925, als ein gelehrter Briefpartner von der Miskatonic-Universität ihn eines Tages aufsuchte und bleich und verwirrt wieder abreiste, war er fast zwei Meter groß.
    All die Jahre hindurch hatte Wilbur seine missgebildete Albinomutter mit wachsender Verachtung behandelt und ihr schließlich sogar untersagt, ihn in der Walpurgisnacht und zu Halloween in die Berge zu begleiten; im Jahre 1926 klagte das arme Geschöpf gegenüber Mamie Bishop, dass sie sich vor ihm fürchte.
    »Da is mehr an ihm, als ich dir sagen kann, Mamie«, erzählte sie, »un heutzutag gibt’s noch mehr, was ich nich weiß, das schwör ich bei Gott. Ich weiß nich, was er will oder was er vorhat.«
    An jenem Halloween war das Lärmen in den Bergen lauter als je zuvor, und wie üblich brannte ein Feuer auf dem Sentinel Hill; die Menschen aber schenkten ihre Aufmerksamkeit dem regelmäßigen Gekreisch großer Schwärme von Ziegenmelkern, die sich in der Nähe des unbeleuchteten Bauernhauses der Whateleys zu sammeln schienen. Nach Mitternacht steigerten sich ihre schrillen Schreie zu einer Art pandämonischem Gekicher, das die gesamte Region erfüllte; erst zur Morgendämmerung hin wurden sie allmählich leiser. Dann verschwanden sie, eilten gen Süden, womit sie einen ganzen Monat Verspätung hatten. Was dies bedeutete, konnte damals niemand mit Sicherheit wissen. Keiner der Landbewohner schien gestorben zu sein – doch die arme Lavinia Whateley, die verwachsene Albinofrau, wurde nie wieder gesehen.
    Im Sommer 1927 reparierte Wilbur zwei Schuppen auf dem Hof und ging daran, seine Bücher und Habseligkeiten dort unterzubringen. Bald danach erzählte Earl Sawyer den Müßiggängern in Osborns Laden, dass im Hause der Whateleys erneut Umbauten im Gange waren. Wilbur versperrte alle Türen und Fenster im Erdgeschoss und schien Zwischenwände herauszunehmen, so wie er und sein Großvater es vier Jahre zuvor im Obergeschoss getan hatten. Er wohnte in einem der Schuppen und schien ungewöhnlich besorgt und ängstlich zu sein, wie Sawyer meinte. Die Leute verdächtigten ihn weithin, etwas über das Verschwinden seiner Mutter zu wissen, und nur sehr wenige trauten sich noch in die Nähe seines Grundstücks. Er war nun mehr als zwei Meter groß, und es gab kein Anzeichen dafür, dass sich sein Wachstum verlangsamen würde.
    V
    Im folgenden Winter ereignete sich etwas überaus Seltsames – Wilbur verließ zum ersten Mal die Gegend von Dunwich. Seine Korrespondenz mit der Widener Library in Harvard, der Bibliothèque Nationale in Paris, dem British Museum, der Universität von Buenos Aires und der Bibliothek der Miskatonic-Universität in Arkham hatte ihm nicht zu dem Buch verholfen, das er so verzweifelt gesucht hatte. So machte er sich schließlich selbst auf den Weg, schäbig, schmutzig, bärtig und einen ungehobelten Dialekt sprechend, um das Miskatonic-Exemplar zurate zu ziehen, weil es am schnellsten zu erreichen war. Nachdem es sich anlässlich der Reise einen billigen neuen Koffer in Osborns Gemischtwarenladen gekauft hatte, erschien das zweieinhalb Meter große, dunkle und ziegenbockartige Scheusal eines Tages in Arkham auf der Suche nach dem gefürchteten Band, der in der Hochschulbibliothek hinter Schloss und Riegel aufbewahrt wurde – dem scheußlichen Necronomicon des wahnsinnigen Arabers Abdul Alhazred in der lateinischen Übertragung des Olaus Wormius, das im 17. Jahrhundert in Spanien gedruckt worden war. Wilbur hatte noch nie zuvor eine Stadt gesehen, bahnte sich aber zielstrebig den Weg zum Universitätsgelände, wo er tatsächlich achtlos an dem großen zähnefletschenden Wachhund vorüberging,

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