Chroniken der Dunkelheit - 02 - Kristallschwert
Frau und begrüßte sie lächelnd und mit ausgestreckten Händen. Sie trug ein bodenlanges hellgraues Gewand und hatte die schwarzen Haare zu Zöpfen geflochten und zu einer Krone auf dem Kopf aufgesteckt. Sie sah aus wie die Frau eines Häuptlings, die in ihrem Haus Gäste empfängt. Doch am meisten verblüffte Elsa und Adrian, dass sie ihre Sprache sprach.
»Wir bekommen so selten Besuch und haben wenig Übung als Gastgeber.« Ihre tiefe melodische Stimme klang freundlich und sie lächelte entschuldigend. »Es tut mir leid, wenn die Geister euch angegriffen haben. Sie tun euch jetzt nichts mehr. Bitte nehmt meine Entschuldigung an und esst mit mir. Ich muss euch vieles sagen.«
12. KAPITEL
Im Gebirge fand ich eine Höhle, die mir als Schmiede dienen konnte. Dort brannte Feuer unter dem Boden.
Ein Gletscher bedeckte die Flanke des Berges, an seinem Fuß lag ein zugefrorener See. Unter dem Eis sah ich Bewegung, Augen und Münder und Hände, die mir winkten. Stimmen lockten mich, ich solle mich mit dem Eis vereinen. Ich kniete schon auf der Oberfläche und wollte gerade hindurchbrechen, da zogen mich Hände zurück. Mein Sohn und Ioneth waren mir gefolgt.
Ioneth sagte, ich hätte die Geister von Menschen gesehen, die Loki unter dem Eis eingeschlossen habe. Loki habe ihnen nur so viel Leben gelassen, dass sie sich in Sehnsucht nach mehr verzehrten. Solche Geister gebe es überall, sagte sie. Ihre Stimme klang traurig, und ich schloss daraus, dass auch ihrem Volk dieses Schicksal widerfahren war.
Cluaran hatte ein gutes Pferd und die würzige Waldluft hob seine Stimmung nach der niederdrückenden Ratsversammlung in Erlingrs Höhle wieder. Und obwohl die Ratsversammlung ihn wertvolle Zeit gekostet hatte, war er froh, Ari bei sich zu haben, wenn er am Ziel eintraf.
»Es ist doch nichts so belebend wie Waldluft!«, rief er Ari zu, während sie zwischen dicken Stämmen dahintrabten. »Auch wenn in diesem gottverlassenen Land ausschließlich Kiefern wachsen.«
Ari nickte nur und trieb sein Pferd zu einer schnelleren Gangart an. Er war seit ihrem Aufbruch aus der Ratshöhle noch schweigsamer gewesen als sonst und Cluaran hatte überlegt, ob er seine Zusage, ihm zu helfen, bereits bereute. Aber wie auch immer: Ari würde wie die meisten seines Volkes sein Wort niemals brechen.
Einige Meilen östlich der Seen verließen sie den Wald, um sich diesen im Galopp nähern zu können. Die Schneefelder seien im Sommer Wiesen, sagte Ari. Cluaran stellte sich vor, wie alles mit Blumen übersät war und überall Insekten summten. Er hatte das Land nie anders als bedeckt von Schnee erlebt – außer jenem einen Mal, als alles gebrannt hatte. Das soll nie wieder passieren, gelobte er sich.
Sie näherten sich dem Seeufer. Dort war es ungewöhnlich still. Die Zelte der Fischer standen an ihren üblichen Plätzen, aber nirgendwo brannte Feuer und, noch seltsamer, niemand fischte, obwohl es helllichter Tag war.
»Da stimmt etwas nicht«, sagte Ari.
Die letzten hundert Meter führten sie die Pferde am Zügel. Dann sahen sie sich in dem verlassenen Lager um. Cluaran überprüfte die Zelte der Fischer und Ari ging am Ufer des zugefrorenen Sees entlang. Cluaran schlug die Eingangsklappen von einem halben Dutzend Zelten zurück und stellte fest, dass deren Bewohner offenbar in größter Eile aufgebrochen waren und nicht einmal Zeit gehabt hatten, ihr Bettzeug mitzunehmen. Da hörte er, wie Ari seinen Namen rief.
»Kommt!«, rief Ari. »Hier ist etwas passiert.« Er zeigte Cluaran eine Stelle am Seeufer, an welcher der Schnee von Fußabdrücken zertrampelt war. »Seht: Drei Männer kamen von den Zelten und blieben hier stehen. Aus der anderen Richtung kam ihnen eine einzelne Person entgegen – eine Person mit deutlich kleineren Füßen. Hier kam es zu einer Auseinandersetzung, einem Kampf, würde ich sagen. Und dort …« Cluaran hatte bereits gesehen, worauf Ari zeigte: ein gezacktes Loch im Eis, größer und unregelmäßiger als die Löcher der Fischer. »Dort ist jemand hineingefallen.«
Cluaran schwieg eine Zeit lang und verdrängte die Angst, die sich in ihm ausbreitete. Ob Ari ihn tun lassen würde, was er jetzt zu tun hatte? Er musste es darauf ankommen lassen. »Ich werde die Seegeister rufen«, sagte er schließlich. »Wenn jemand hineingefallen ist, werden sie es wissen. Sie werden auch wissen, ob der Betreffende noch immer im Wasser ist.«
Ari trat erschrocken einen Schritt zurück. »Ihr werdet nicht mit diesen
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