CIA: Die ganze Geschichte (German Edition)
Gefechtsaufstellung löste eine heftige Auseinandersetzung zwischen der militärischen Führung in Saigon und den Analysten in der CIA-Zentrale aus. Standen die Vereinigten Staaten in Vietnam kommunistischen Streitkräften von weniger als 300 000 Mann gegenüber, wie das Militär behauptete, oder waren es über 500 000 Mann, wie die meisten Analysten meinten?
Uneinig war man sich über die Zahl der Guerillas, der irregulären Truppen, der Milizen, kurz, der nicht uniformierten Soldaten. Falls der Feind nach zwei Jahren erbarmungsloser Bombardierungen durch amerikanische Flugzeuge und intensiver Angriffe amerikanischer Bodentruppen über Streitkräfte in einer Stärke von einer halben Million Mann verfügte, dann sprach das dafür, dass der Krieg wirklich nicht zu gewinnen war. Für General WilliamWestmoreland, den amerikanischen Befehlshaber in Südvietnam, und seinen Adjutanten, Robert Komer, kam die niedrigere Zahl einem Glaubensartikel gleich. Bekannt unter dem Namen »Düsentrieb-Bob«, hatte Komer, der seit ihrer Gründung der CIA angehörte, den Auftrag, die neue und rasch expandierende Antiaufstandskampagne Westmorelands zu leiten, die unter dem Codenamen Phoenix lief. Er schickte ständig vertrauliche Memoranden an LBJ, in denen er den unmittelbar bevorstehenden Sieg ankündigte. Die Frage sei nicht, versicherte er, ob Amerika den Krieg gewinne, sondern nur, wie schnell es ihn gewinnen wolle.
Der Streit zog sich über Monate hin. Schließlich schickte Helms Carver nach Saigon, damit er sich mit Westmoreland und Komer auseinandersetzte. Die Gespräche liefen nicht gut. Das Militär mauerte. Am 11.September 1967 kam der Streit offen zum Ausbruch.
»Ihr Typen müsst die Sache schlicht und einfach fallen lassen«, erklärte Komer Carver in einem nicht enden wollenden Monolog beim Abendessen. Die Wahrheit werde »ein öffentliches Debakel bewirken und alles kaputt machen, was wir hier unten versucht haben zu erreichen«. Carver schickte ein Telegramm an Helms, in dem er erklärte, das Militär lasse nicht mit sich reden. Sie wollten unbedingt beweisen, dass sie auf den Sieg zusteuerten. Sie hätten betont, »wie frustrierend es für sie sei, dass sie die Presse (mithin die Öffentlichkeit) nicht davon überzeugen könnten, was für große Fortschritte sie machten, und welch überragende Bedeutung es für sie habe, dass nichts verlautbart werde, was dieses Bild vom Siegeszug stören könne«, berichtete Carver dem Direktor. Wenn man die Zahl der irregulären Vietkong-Truppen in Südvietnam in Rechnung stelle, »führe das zu einer politisch unannehmbaren Gesamtzahl von über 400 000«. Da das Militär »eine feststehende Gesamtzahl« habe, »von der sie mit Rücksicht auf die Öffentlichkeit nicht abweichen, kommen wir hier nicht mehr weiter (es sei denn, Sie bestehen darauf, dass wir weitermachen)«.
Helms fühlte sich unwiderstehlich getrieben, mit den Wölfen zu heulen – und die Angaben der CIA der Politik des Präsidenten anzupassen. Also lenkte er ein. Die Zahl, erklärte er, sei »völlig belanglos«. Die CIA übernahm die falsche Angabe, der zufolge die feindliche Streitmacht 299 000 Mann oder weniger umfasste. »Die Quadratur des Kreises ist vollzogen«, telegrafierte Carver an den Direktor.
Die Unterdrückung von Informationen und die Falschmeldungspraxis hatten im Zusammenhang mit Vietnam bereits Tradition. Im Frühjahr 1963 setzte das Pentagon John McCone massiv unter Druck, eine Lagebeurteilung in der Versenkung verschwinden zu lassen, die »ziemlich große Schwächen« der Regierung Südvietnams konstatierte – unter anderem schlechte Moral in der Truppe, einen schlimmen Missstand bei den nachrichtendienstlichen Informationen und eine kommunistische Infiltration des Militärs. Die CIA schrieb diese Einschätzung folgendermaßen um: »Wir glauben, dass der Vormarsch der Kommunisten aufgehalten wurde und dass sich die Lage bessert.« Tatsächlich glaubte die CIA das ganz und gar nicht. Ein paar Wochen später kam es in Hue zu Unruhen, danach zu den Selbstverbrennungen von Buddhisten und dann zu der Verschwörung mit dem Ziel, Diem aus dem Weg zu räumen.
Der Druck ließ nie nach; der neue Sicherheitsberater des Präsidenten, Walt Rostow, wies die CIA fortwährend an, erfreuliche Kriegsnachrichten für das Weiße Haus zu fabrizieren. Auf wessen Seite stehen Sie eigentlich?, knurrte Rostow. Am gleichen Tag freilich, an dem Helms die Quadratur des Kreises vollzog, ließ er dem Präsidenten auch
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