Cigams Sündenfall
Giovanni, so hieß der Mann, nicht mehr lebte.
Cigam nickte zufrieden.
Er sagte nichts, sondern schaute nur zu, wie sich seine ›Schwester‹ um den Verletzten ›kümmerte‹.
Sie beendete auch dessen Leben!
Erst dann war sie zufrieden, und plötzlich fühlte sich Costello nicht nur mutterseelenallein wie nie zuvor in seinem Leben, sondern auch wie von den Backen einer gnadenlosen Zange eingeklemmt. Auf der einen Seite stand Cigam, auf der anderen sein Sündenfall.
Selbst bei Begegnungen mit dem Teufel hatte Costello nicht diese verrückte, kaum erklärbare Angst gespürt. Er zitterte, er roch den Tod, denn der Geruch von frischem Blut drang in seine Nase. Die Zähne schlugen aufeinander. Wie Fieber strömte die Hitze durch seinen Körper, die dann von einer Kälte abgelöst wurde, die viel in ihm vereiste.
Cigam und Altea ließen ihn zunächst in Ruhe. Es konnten Minuten vergangen sein, bevor das männliche und gleichzeitig doch geschlechtslose Wesen das Schweigen brach.
»Das hat so sein müssen, denn es war auch für dich eine Bestrafung. Du hast erkennen sollen, daß es keinen Sinn macht, sich in unsere Angelegenheiten zu mischen. Wir sind die Herren, wir haben zu sagen, nicht du, Costello.«
Er konnte nur nicken. Es war ihm unmöglich, auch nur ein Wort hervorzupressen. Er fühlte sich wie jemand, der in seine Kindheit zurückversetzt worden war. In eine frühe Phase, in der die Angst vor der Welt der Erwachsenen vorgeherrscht hatte. Er konnte kaum denken, das Zittern ließ sich nicht vermeiden, die Angst erwischte ihn in gewaltigen Strömen, und er fühlte sich so allein wie nie zuvor.
Ihn hatte der Tod nur gestreift, seine Leute aber hatte er voll erwischt.
Und Costello fragte sich, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn auch der tot auf den alten Holzdielen gelegen hätte, denn er wußte nicht, was noch auf ihn zukam.
Zunächst das Schicksal in Form der beiden ›Geschwister‹. Von zwei Seiten näherten sie sich ihm, und sie gingen so leise wie möglich. Er sah eigentlich nur ihre Augen, die in der Dunkelheit heller schimmerten als die Gesichter.
Costello wußte nicht, wohin er schauen sollte. Deshalb drehte er den Kopf mal nach rechts, um Cigam anzusehen, dann nach links, von wo Altea kam.
Neben ihm blieben sie stehen.
Sie rahmten ihn ein wie zwei Henker den Todeskandidaten. In London war er der Henker, hier jedoch das Opfer, und er mußte die Qualen erdulden, die er sonst den anderen ›verordnete‹.
»Was denkst du?« fragte Cigam. »Sei ehrlich.«
Costello konnte kaum sprechen. Der Speichel klebte in seinem Mund wie zäher Leim. Nur mühsam schluckte er ihn herunter, und ebenso mühsam würgte er seine Antwort hervor. »Ich… ich habe Angst…« Diese Worte waren ihm so gut wie nie über die Lippen gekommen, in diesen Augenblicken entsprachen sie seinem tiefsten Bedürfnis, denn er fühlte nichts anderes als eben die tiefsitzende Furcht vor dem Tod. Es wunderte ihn, daß er nicht schon längst auf die Knie gefallen war, um für sein Leben zu bitten, denn soweit war er mittlerweile.
Cigam zeigte sich ihm gesonnen, denn er nickte. »Ja, du bist ehrlich gewesen. Wie denkst du, wird es weitergehen?«
Costellos Augen füllte salzhaltiger Schweiß. Costello konnte kaum etwas erkennen. Nur schemenhaft zeichneten sich Cigam und Altea im Dämmer des von Blutgeruch durchwehten Zimmers ab. »Ich kann es mir denken«, keuchte er und drehte dabei seine Hände um die Lehne. »Ihr werdet mich töten.«
»Du hättest es verdient!« stellte Cigam mit kalter Stimme fest. »Du hättest es wirklich verdient, aber wir werden dich nicht töten. Wir wissen, daß du einst zu uns gehört hast. Der Teufel hatte dich beschützt, das haben wir nicht vergessen. Deine vorläufige Strafe hast du bekommen, denn von denen, die du mit in diese Stadt gebracht hast, lebt keiner mehr. Sie haben es sich selbst zuzuschreiben, sie hätten zu Hause bleiben sollen.« Er lachte rauh. »So, unser Plan steht, denn wir müssen noch weitere Feinde ausschalten.«
»Die Frau will ich!« sagte Altea.
Auch Costello hatte die Worte gehört. Er wunderte sich darüber, denn er konnte sich nicht vorstellen, welche Frau damit gemeint war. Sollte Sinclair die Detektivin Jane Collins mit nach Prag genommen haben?
Cigam war einverstanden. »Du kannst sie haben«, erklärte er. »Mir reichen die beiden anderen.«
Costello atmete tief durch. Er fühlte sich besser, jetzt, wo sich die teuflischen Geschwister nicht mehr nur um ihn
Weitere Kostenlose Bücher