Circus
wirklich schwierig, jetzt noch an sie heranzukommen. Eine bemerkenswerte Gabe. Ich hoffe, Sie fallen nicht irgendwann wirklich eine Treppe hinunter, landen auf dem Kopf und ziehen sich einen akuten Gedächtnisschwund zu! Wie werden Sie die Sache angehen?«
»Hören Sie, ich bin Mentalist, aber nicht Merlin der Zauberer. Wie lange wissen Sie schon von der Sache?«
»Nicht lange. Ein paar Wochen.«
»Nicht lange. Ein paar Wochen!« wiederholte Bruno, und aus seinem Munde klang es wie ›ein paar Jahre‹. »Und haben Sie schon eine Lösung parat?«
»Nein.«
»Aber von mir erwarten Sie das schon nach ein paar Minuten?«
Harper schüttelte den Kopf und stand auf. »Ich nehme an, Wrinfield wird in Kürze bei Ihnen hereinschauen – er muß jeden Augenblick von Ihrem Unfall hören, und er weiß nicht, daß er fingiert war. Aber Sie können es ihm sagen. Inwieweit wollen Sie ihn einweihen?«
»Überhaupt nicht. Wenn ich ihm diesen selbstmörderischen Plan, den Sie da für mich ausgeheckt haben, eröffnete, ließe er das Schiff auf der Stelle umkehren.«
5
D ie Tage vergingen ohne Zwischenfälle, aber recht unruhig – die Stabilisatoren der ›Carpentaria‹ schienen nicht genau zu wissen, was man von ihnen erwartete. Für die Circusleute gab es kaum mehr zu tun, als die Tiere zu füttern und ihre Käfige sauberzuhalten. Diejenigen, denen es die Umgebung erlaubte, trainierten ein bißchen, die anderen faßten sich in Geduld.
Bruno verbrachte genügend Zeit mit Maria, um die Glaubwürdigkeit seiner nun inzwischen allgemein als ernst angesehenen Romanze noch zu festigen. Noch viel interessanter für die Leute aber war die Tatsache, daß sich eine Dreiecksgeschichte anzubahnen schien, denn immer wenn Bruno nicht mit Maria zusammen war, wich Henry Wrinfield nicht von ihrer Seite. Und da Bruno die meiste Zeit mit Kan Dahn, Roebuck und Manuelo verbrachte, mangelte es Henry nicht an Gelegenheiten, und er nutzte sie, so gut er konnte.
Die Bar, in der gut und gern weit über hundert Leute Platz hatten, war vor dem Abendessen stets gut besucht. Am dritten Abend auf See saß Henry mit Maria an einem etwas abseits stehenden Tisch in einer Ecke und redete mit ernstem Gesicht auf sie ein. Am anderen Ende des großen Raumes saß Bruno mit seinen drei Freunden und spielte Karten. Vor dem Spiel verbrachten Roebuck und Manuelo ihre üblichen zehn Minuten mit der Klage, daß sie nicht richtig trainieren könnten. Kan Dahn machte sich deswegen keine Sorgen – er war offensichtlich überzeugt, daß ihn seine Kraft nicht in ein paar Tagen verlassen würde, und diese Überzeugung wurde von den meisten anderen geteilt.
Sie spielten Poker. Es ging nie um hohe Einsätze, und Bruno gewann fast immer. Die anderen behaupteten, es läge daran, daß er durch ihre Karten hindurchsehen könne, was Bruno energisch bestritt, aber die Tatsache, daß er am Abend vorher viermal hintereinander mit verbundenen Augen gewonnen hatte, ließen Zweifel an der Aufrichtigkeit seines Dementis aufkommen. Daß er gewann, hieß jedoch nicht, daß er mit den Taschen voller Geld vom Spieltisch aufstand – der Gewinner mußte die Drinks bezahlen, und obwohl er, Roebuck und Manuelo nur sehr wenig tranken, wurde die Rechnung doch jedesmal ganz beträchtlich, denn die Mengen Bier, die Kan Dahn in seinen massigen Körper schüttete, waren sehr eindrucksvoll.
Kan Dahn leerte ein weiteres Glas, schaute quer durch den Raum und tippte Bruno auf den Unterarm. »Du solltest etwas unternehmen, mein Junge. Deine Herzdame steht unter schwerer Belagerung.«
Bruno folgte seinem Blick und sagte milde: »Sie ist nicht meine Herzdame. Aber selbst wenn sie es wäre, brauchte ich wohl kaum zu befürchten, daß Henry sie entführt – er ist nicht der Typ dafür. Außerdem wären die Chancen hier mitten auf dem Atlantik sowieso nicht besonders groß.«
»Groß genug«, meinte Roebuck düster.
»Seine blonde Liebste ist in den Staaten«, konstatierte Manuelo. »Und unsere kleine Maria ist hier. Und das ist der springende Punkt.«
»Irgend jemand sollte ihr von Cecily erzählen«, schlug Roebuck vor.
»Unsere kleine Maria weiß genau Bescheid über Cecily. Sie hat es mir selbst erzählt. Sie weiß sogar, was für einen Verlobungsring sie trägt.« Bruno warf noch einen Blick auf das Paar und wandte seine Aufmerksamkeit dann wieder seinen Karten zu. »Es sieht nicht so aus, als ob sie in Liebesgeflüster vertieft wären.«
Maria und Henry waren tatsächlich nicht in
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