Circus
In Ihrer Kabine, wenn es Ihnen recht ist.«
Sie hob ebenfalls ihr Glas und lächelte: »Auf Ihr Wohl.«
Nach dem Abendessen verließen Bruno und Maria gemeinsam den Speisesaal. Das war nichts Ungewöhnliches mehr und verursachte nicht einmal mehr ein Aufblicken. Etwa zwanzig Sekunden nach ihnen stand Henry ebenfalls auf, schlenderte quer durch den Speisesaal und verließ ihn durch die entgegengesetzte Tür. Draußen beschleunigte er seine Schritte, stieg eine Kajüttreppe hinunter und kam zu den Passagierquartieren: Bruno und Maria waren etwa fünfzehn Meter vor ihm. Henry ging hinter der Kajüttreppe in Deckung. Fast im gleichen Augenblick kam ein Mann aus einem Seitengang, der sechs Meter weiter auf der linken Seite in den breiten Gang mündete. Er spähte den Hauptgang hinunter, sah Bruno und Maria und trat schnell in sein Versteck zurück, aber nicht schnell genug, um nicht von Henry erkannt zu werden: Es war Wherry. Henry konnte sich einer gewissen Selbstzufriedenheit nicht erwehren.
Wherry riskierte einen zweiten Blick: Bruno und Maria verschwanden gerade um eine Biegung nach links. Wherry verließ seine Deckung endgültig und folgte ihnen. Henry wartete, bis auch Wherry außer Sicht war, und machte sich dann seinerseits verstohlen an die Verfolgung. Er schlich lautlos bis zur Ecke, beugte sich vorsichtig vor und zog den Kopf schleunigst wieder zurück: Wherry stand nur sechs Schritte von ihm entfernt und schaute interessiert einen nach rechts abzweigenden Flur hinunter. Henry war völlig klar, was Wherry im Auge hatte – Marias Kabine war von ihm aus gesehen die vierte. Als er einen neuerlichen Blick wagte, war Wherry verschwunden. Henry schlich weiter, bis er dort stand, wo gerade noch Wherry gestanden hatte, und streckte wieder seinen Kopf vor: Wherry war damit beschäftigt, sein rechtes Ohr fest an eine Kabinentür zu pressen – natürlich an Marias. Henry ging wieder in Deckung und wartete. Er hatte Zeit.
Er ließ dreißig Sekunden verstreichen, bevor er wieder einen Blick riskierte: Der Flur lag verlassen vor ihm. Ohne Eile schlenderte Henry den Gang entlang, vorbei an Marias Kabine, aus der undeutlich Stimmengemurmel nach draußen drang, erreichte das Ende des Flurs und bog in einen anderen ein. Er hatte nicht zwei Tage damit verbracht, Wherry so unermüdlich und wie er meinte unauffällig zu folgen, um sich jetzt nicht auch zu informieren, wo Wherrys Unterkunft lag. Und er war überzeugt, daß Wherry sich dorthin begeben hatte.
Und er hatte recht. Wherry hatte sich tatsächlich schnurstracks zu seiner Kabine begeben, und anscheinend hatte er sich so sicher gefühlt, daß er seine Tür sogar nur angelehnt hatte. Daß es dafür vielleicht auch andere Gründe geben konnte, kam Henry nicht in den Sinn. Wherry saß mit dem Rücken zu ihm und hatte Kopfhörer auf, die mit einem Radio verbunden waren. Daran war an sich nichts Ungewöhnliches – Wherry wechselte sich wie alle Stewards mit seinen Kollegen ab, und da sie alle immer in verschiedenen Schichten arbeiteten und demzufolge zu verschiedenen Zeiten schliefen, boten die Kopfhörer die Gelegenheit, Radio zu hören, ohne jemanden im Schlaf zu stören.
Maria saß auf ihrem Bett und starrte Bruno fassungslos an. Sie war leichenblaß, wodurch ihre Augen unnatürlich groß erschienen. Als sie endlich sprach, war sie kaum zu verstehen: »Das ist Wahnsinn! Das ist doch Selbstmord!«
»Dies beides und noch eine Menge anderer Dinge treffen zu. Aber Sie müssen bedenken, daß Dr. Harper sich in einer scheußlichen Klemme befand. Die Idee war genial, aus der Verzweiflung geboren, aber er hatte keine andere Wahl – jedenfalls sah er keine andere Möglichkeit.«
»Bruno!« Sie rutschte vom Bett, ließ sich neben seinem Sessel auf die Knie nieder und nahm seine Hände in ihre. In ihren Augen stand nackte Angst, und Bruno erkannte unbehaglich, daß diese Angst ihm galt. »Sie werden es nicht überleben, und das wissen Sie auch genau! Tun Sie's nicht! Bitte, bitte, tun Sie's nicht! Nichts ist es wert, daß Sie dafür Ihr Leben opfern! Nichts! O Gott, Sie haben ja nicht einmal die allerkleinste Chance!«
Er schaute mit einem Ausdruck milder Überraschung auf sie hinunter: »Und ich habe Sie die ganze Zeit für eine kaltschnäuzige CIA-Agentin gehalten!«
»Nun, da haben Sie sich eben geirrt. Was die Kaltschnäuzigkeit betrifft, meine ich.« in ihren Augen schimmerten Tränen.
Er streichelte geistesabwesend ihre Haare. Sie hatte ihr Gesicht
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