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Circus

Circus

Titel: Circus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alistair MacLean
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abgewandt.
    »Vielleicht gibt es einen anderen Weg, Maria.«
    »Den gibt es bestimmt nicht!«
    »Schau her«, sagte er. Er merkte nicht einmal, daß er sie plötzlich duzte. Mit seiner freien Hand zeichnete er mit ein paar Strichen einen Plan. »Vergessen wir jetzt mal den Balanceakt über das Hochspannungskabel. Die Tatsache, daß diese Fenster vergittert sind, kann sich ausgesprochen positiv für uns auswirken – besser gesagt für mich. Ich habe vor, von der Straße aus zu operieren, die an der Südseite des Forschungsgebäudes entlangführt. Ich werde ein Seil mitnehmen, an dessen einem Ende ein wattierter Haken befestigt ist. Nach ein paar Versuchen werde ich es sicher schaffen, den Haken an einer Gitterstange eines Fensters im ersten Stock zu verankern. Dann ziehe ich mich daran hoch, mache das Seil wieder los, wiederhole den Vorgang und lande auf diese Weise im zweiten Stock. Und das mache ich so oft, bis ich oben bin.«
    Sie sah ihn skeptisch an: »Und dann?«
    »Dann finde ich eine Möglichkeit, die Wache oder Wachen im Wachtturm an der Ecke zum Schweigen zu bringen.«
    »Was ist es, Bruno? Was treibt dich dazu, so etwas zu riskieren?« Auch sie war ohne es zu merken zum Du übergegangen. »Du bist ein Besessener, weißt du das? Du arbeitest doch nicht fest für die CIA, und diese verdammte Antimaterie kann dir doch nicht dein Leben wert sein! Und doch weiß ich ganz sicher, daß du nichts unversucht lassen wirst, um in dieses verdammte Gefängnis zu kommen. Warum, Bruno? Warum bloß?«
    »Ich weiß es nicht.« Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, und so verpaßte sie einen der seltenen Augenblicke, in denen es eine Gefühlsregung ausdrückte: Es zeigte deutlich, wie aufgewühlt er innerlich war. »Vielleicht solltest du die Geister von Pilgrim und Fawcett fragen.«
    »Was bedeuten dir die beiden? Du kanntest sie doch kaum.« Er antwortete nicht. Sie fuhr resigniert fort: »Du wirst also die Wachen außer Gefecht setzen. Aber wie willst du den Strom ausschalten, mit dem die Stahlspitzen auf der Mauer geladen sind?«
    »Ich werde einen Weg finden. Aber ich werde deine Hilfe brauchen, und es könnte dir passieren, daß du dich unversehens im Gefängnis wiederfindest.«
    »Welche Art von Hilfe?« fragte sie tonlos. »Und was schreckt mich das Gefängnis, wenn du tot bist?«
    Henry hörte Marias letzte Worte mit. Wherry hatte seine Kopfhörer abgenommen, um sich Zigaretten zu holen, und das Gespräch, das in Marias Kabine stattfand, war zwar leise und etwas verzerrt, aber trotzdem einwandfrei zu verstehen. Henry verdrehte sich seinen Hals noch ein bißchen mehr und sah, daß das Radio nicht das einzige elektrische Gerät in der Kabine war: Auf dem Boden stand auch ein kleines Tonbandgerät, auf dem sich langsam zwei Spulen drehten.
    Wherry hatte Zigaretten gefunden, zündete sich eine an, setzte sich wieder auf seinen Stuhl, nahm die Kopfhörer und wollte sie gerade wieder aufsetzen, als Henry die Tür weit aufstieß und in die Kabine trat. Wherry wirbelte herum und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
    »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, dann würde ich gern das Bandgerät mitnehmen, Wherry«, sagte Henry mit vollendeter Höflichkeit.
    »Mr. Wrinfield!«
    »Jawohl, Mr. Wrinfield! Überrascht? Das Bandgerät, Wherry!«
    Wherry warf einen raschen Blick auf einen Fleck über Henrys linker Schulter, und Henry lachte. »Tut mir leid, Wherry, aber dieser Trick hat nun wirklich schon einen Vollbart.«
    Das letzte Geräusch, das Henry in seinem Leben hören sollte, war ein kaum hörbares Zischen hinter ihm. Seine Ohren registrierten es für den Bruchteil einer Sekunde, aber sein Körper hatte keine Zeit mehr, zu reagieren. Wherry erwischte ihn gerade noch, ehe er zu Boden fiel.
    »Hast du mich nicht verstanden?« fragte Maria mit immer noch ausdrucksloser Stimme. »Was schreckt mich das Gefängnis, was bedeutet mir überhaupt noch etwas, wenn du tot bist? Kannst du nicht auch einmal an mich denken? Schon gut, schon gut, ich weiß ja, daß ich egoistisch bin, aber ich finde wirklich, daß du auch einmal an mich denken könntest.«
    »Hör auf! Hör auf! Hör auf!« Er hatte seiner Stimme einen groben oder wenigstens strengen Tonfall geben wollen, aber beides war ihm kläglich mißlungen.
    »Wir kommen an einem Donnerstag in Crau an und verlassen es an dem darauffolgenden Mittwoch wieder – es ist das längste Gastspiel der Tournee. Wir haben Freitag, Samstag, Montag und Dienstag Vorstellungen. Sonntag ist frei.

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