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Claustria (German Edition)

Claustria (German Edition)

Titel: Claustria (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Régis Jauffret
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erkunden.
    Als sie dreizehn war, durchstach er ihr Hymen mit einem Gegenstand. Nach dieser Feuertaufe warf er sie auf das Schlachtfeld des Ehebetts. Ein paar Monate später kam Martin hinzu. Ein frühreifer Schwächling, so harmlos wie ein Mädelchen. Eine Art Knappe, der Fritzl half, seine Waffen blank zu putzen.
    Erwachende Sexualität, so armselig wie der ganze Keller. Ein Kessel, den man mit einem Deckel mit nur einer Öffnung verschlossen hat, damit der Dampf entweicht und es keine Explosion gibt. Die Enge, die dunkle Sinnlichkeit dieser geschlossenen Räume, ein unterirdischer Weiler weitab jeder Straße, mit codegesicherten Wegen, durch die das Verlangen strömt und sich steigert – fern von Tabus, denen Populationen unterliegen, die zu groß sind, um sie fallen zu lassen. Ein Pandämonium. Vereinzelte Orgien, bei denen jeder mit jedem vögelt.
    Nur Roman war nicht ins Festbett geladen. Ein gleichgültiger Zuschauer, nicht einmal ein Gaffer, eher ein Bub, der enttäuscht war, die Sendung zu verpassen, die er sich an jenem Abend im Fernsehen anschauen wollte.
    Kurze Jahre in Angelikas Tagebuch. Unter der Erde vergeht das langsame Leben schnell. Dieselben Sorgen, dieselben Hoffnungen wie die einer Familie in einer zu kleinen Wohnung in einem Mehrfamilienhaus, einem Hochhaus, einem Häuschen auf dem Land. Schließlich maß der Keller fünfundfünfzig Quadratmeter. Darauf wies Fritzl sie oft hin.
    ,,Viele Familien leben in sehr viel beengteren Verhältnissen.“
    Das Freie war so unwirklich geworden wie das All, in dem die Helden aus Science-Fiction-Filmen in Raumschiffen leben. Ein Bad im Meer, ein Spaziergang im Wald waren für das Kellervölkchen kaum unvorstellbarer als für irgendwelche Stubenhocker, die nie in die Natur hinausgehen und nie in den Urlaub fahren.
    Angelikas zählebige, sehnsüchtige Erinnerung an Schaufenster, die Träumereien hinter der Scheibe vor all diesen Kleidern, die die Schaufensterpuppen lässig und ein wenig affektiert mit ihrem dünnen, von einem roten Strich untermalten Lächeln trugen.
    Sie hatte bei Fritzl durchgesetzt, dass er ihr einen Versandhauskatalog brachte. Stundenlanges Shopping, während sie die Seiten umblätterte, als würde sie um die Straßenecke biegen. Anproben vor dem kleinen Spiegel im Bad – dieses Sommerkleid, jenes ein wenig damenhafte Kostüm, das sie definitiv älter wirken ließ, all diese virtuellen Kleider, die sie aus den Fotos herauszureißen gelernt hatte, um sie anzuprobieren, damit sie sich nicht auf die reißerische Werbung der Redakteurin einlassen musste, die den Kundinnen immer das Blaue vom Himmel versprach.
    Angelika klagte, dass man immer so riesige Models nahm, Bohnenstangen, deren Kleider ihr grundsätzlich zu groß waren. Sie musste sich zusätzlich anstrengen, um sich vorzustellen, wie die Sachen aussehen würden, wenn sie ihre Größe hätten.
    Sie füllte das Bestellformular aus, gab es Fritzl. Er zerriss es in vier Teile und gab ihr die Schnipsel zurück. Sie heulte.
    ,,Papa, ich hab’ wirklich nichts mehr anzuziehen!“
    ,,Mach dir doch einen Mantel aus Rattenfell.“
    Diese monotone Szene wiederholte sich jedes Mal. Wie eine richtige Ehefrau, die ihrem geizigen Mann Geld abringen will, versuchte Angelika, Fritzl mit ihrem Charme weichzukochen. Sie tat so, als sei sie verliebt in das Ungeheuer, und schmuste zärtlicher mit ihm als damals mit Thomas.
    Sie schickte die Kinder mit leerem Magen ins Bett, damit sie mit Fritzl den Abend zu zweit bei einem romantischen Essen verbringen konnte. Er aß, ohne auf etwas anderes zu achten als auf seinen Teller und sein Glas. Wenn sie ihm schmeichelte, lächelte er mit vollem Mund.
    ,,Du bist ganz dünn geworden.“
    ,,Dieses blaue Hemd macht dich jünger.“
    ,,Mir kommt es so vor, als hättest du immer weniger graue Haare.“
    ,,Ich habe noch gar nicht bemerkt, wie schlank deine Hände sind.“
    Große, behaarte Pranken mit Nägeln, die nach der Maniküre manchmal mit transparentem Nagellack überzogen waren.
    ,,Papa, ich hab’ Lust auf dich!“
    Gerührt hielt er im Kauen eines Kuchenstücks inne, das er sich gerade in den Mund geschoben hatte. Er mampfte noch auf dem Bett, wo er seine Tochter stolz penetrierte. Ein verliebtes Mädchen, in dem er nicht die erniedrigte Frau sah, die für ein paar Klamotten sogar noch ihre Gefühle prostituieren musste.
    Die vier Papierfetzen, die sie heimlich auf das Nachtkästchen gelegt hatte, nahm er mit. Von Zeit zu Zeit brachte er ihr ein Kleid oder

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