Claustria (German Edition)
Produzent dafür geboten hatte, dass er nach seiner Entlassung in einem Spielfilm über sein Leben sich selbst spielte. Aber das Projekt sollte nie verwirklicht werden. Nach Fritzls lebenslanger Verurteilung würde der Produzent seine Pläne ein für alle Mal fallen lassen.
Ende September besuchte Fritzl den Tatort, umringt von einer Traube Polizei- und Magistratsbeamter. Er trug einen neuen Anzug und eine Krawatte mit dunkelbraunem Muster auf weißem Grund. Magister Gretel war ganz in Schwarz gekleidet, eine Brille mit blauem Gestell ragte aus seiner Sakkotasche. Das ganze Viertel war am Vorabend abgeriegelt worden, die Anwohner müssten sich ausweisen, wenn sie nach Hause wollten.
Die Rekonstruktion der Vorfälle dauerte laut Protokoll vierzig Minuten. Ein schneller Gang durch die erste Etage des Hauses. Der Inspektor war entsetzt über den Schmutz, der alles überzog wie eine zweite Haut.
„Meine Frau war nicht sehr kultiviert. Als ich sie geheiratet habe, war ich noch nicht Ingenieur. Ich hätte mich längst scheiden lassen sollen, aber sie hat mir leidgetan. Außerdem, wenn man sich eine junge, studierte Frau nimmt, hat man auch Ärger. Sie hätte weiterhin arbeiten und einen Besen nicht mal in die Hand nehmen wollen. Eine Putzfrau? Ich bin von der alten Schule, es hätte mir nicht gefallen, wenn eine Fremde mir die Wäsche macht. Abgesehen davon schnüffeln Hausangestellte immer herum.“
Niemand hörte ihm zu. Weder das Obergeschoss noch die Terrasse wurden begangen. Die uniformierte Horde bewegte sich durchs Treppenhaus. Erdgeschoss, Kellertreppe, Durchquerung des Labyrinths. Schuhabsätze knallten, dass die Wände bebten. Man stand vor der ersten Schleuse. Die Kieberer hatten den Code vergessen. Der Richter trat von einem Bein aufs andere. Sie wollten schon wieder umkehren. Fritzl bat darum, dass man ihm die Handschellen abnimmt.
„Kommt nicht infrage.“
„Mein Mandant hat empfindliche Handgelenke, ich kann es beweisen, wenn Sie einen Gutachter hinzuziehen. Sie müssen verstehen, wie schmerzlich diese Rückkehr für ihn ist. Es ist nicht immer lustig, sich seiner Vergangenheit zu stellen. Gestatten Sie ihm wenigstens, diese Reise mit freien Händen durchzuführen.“
Fritzl nickte.
„Ich erinnere mich an den Code – es sind die Ziffern, die die Nazis meiner Mutter in Mauthausen auf den Unterarm tätowiert haben.“
„Nennen Sie uns nacheinander die Zahlen.“
Ein Polizist tippte sie ein. Alle mussten sich bücken, um durch die Luke zu gelangen. Wer unter Kreuzschmerzen litt, zwang sich, das Hindernis ohne Gejammer zu überwinden.
Dem Inspektor fiel die Eisenstange auf, mit der man die zweite Stahltür von außen blockieren konnte.
„Sie haben ausgesagt, die Türen hätten sich automatisch geöffnet, wenn Sie den Keller zwei Wochen lang nicht betreten hätten. Aber bei dieser Tür hätte die Stange es auf jeden Fall verhindert.“
„Ich habe sie nie vorgelegt.“
„Warum haben Sie sie dann überhaupt angebracht?“
„Angelika hat einmal versucht, abzuhauen. Ich hatte Angst. Ich habe sie angebracht, um sicherzugehen.“
Es war 1994, ein Tag vor Weihnachten. Angelika war im fünften Monat mit Zwillingen schwanger. Fritzl war nicht mehr aufgetaucht, nachdem er Sophie, das dritte Inzestkind, hinaufgebracht hatte. Im Keller herrschte seit einigen Tagen Hunger. Im Fernsehen sah man Bilder von Spanferkeln, Chefköchen, die Silvestermenüs zubereiteten, Familien, die Einkaufswagen füllten, Vorräte und Geschenke für die Festtage in Schränken verstauten. Angelika hatte noch ein Medikament, ein Antihistamin, von dem sie den Kindern morgens und abends einen Löffel voll gab. Sie schliefen zwanzig Stunden am Tag. Dazwischen waren sie zu benommen, um Hunger zu verspüren.
Fritzl kam am Spätnachmittag, zwei Taschen mit Kartoffeln, Reis, einem Kilo Butter. Er stellte sie in die Speisekammer. Angelika hatte gehört, wie die Türen aufgegangen waren, zugeschlagen aber wurde keine mehr. Die Luke stand einen Spalt offen. Zum ersten Mal, seit er seine Tochter hier heruntergebracht hatte, hatte er vergessen, die Türen wieder hinter sich zu schließen.
Fritzl wollte schon wieder wortlos gehen. Angelika tischte ihm die erstbeste Lüge auf, die ihr in den Sinn kam.
„Martin ist seit acht Tagen krank. Er schläft die ganze Zeit, ich glaube, er stirbt.“
„Du musst ihm nur Aspirin geben.“
„Ich habe keines mehr.“
„Sieh zu, wie du zurechtkommst.“
„Was willst du tun, wenn er
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