Clemens Gleich
suche eine Frau und einen blauen Felligen", sagte er beim Wickeln. Sein Tonfall war jetzt nüchtern, sachlich, geschäftsmäßig. Du suchst noch jemand anderen, nagte ein Fragment an ihm. Er wartete auf weitere Daten aus dieser Richtung, doch die kamen nicht. Also fuhr er fort: "Die Frau hat mausbraune Haare, die irgendwie demotiviert herunterfließen, so als hätte man sie ihr dünn auf den Kopf gekackt. Der Fellige ist groß und auffällig, er könnte versucht haben, sich zu tarnen."
"Ja, ja, es waren zwei hier", antwortete der Mann hastig. "Eine Frau, die so aussieht und ein Großer in einer Kutte. Das waren sie bestimmt, aber sie sind schon wieder weg, ich weiß nicht, wo sie jetzt sind!" Eine schlechte Lüge, fand Pi. Er konnte genau lesen, dass er versuchte, seine Gäste zu schützen. Einen enttäuschten Seufzer entlassend drückte er dem Mann die Halsschlagader ab, sodass er sich leise bewusstlos zusammenfaltete. Rot, blau, kariert, Flanell. Würg. Eigentlich hätte man ihn schon allein dieses Hemdes wegen mit Essbesteck an die Wand nageln müssen, fand Pi. Dann zog er sein Messer und verschwand in Richtung Scheune. Die Sonne stieg ein Stück höher und strich über das erkaltende Frühstück an der Wand. Die Tür ging auf. Die Tür ging zu. Kurz darauf wachte der Bauer schreiend auf.
"So geht das nicht", sagte Pi ihm, "Du hast mir noch nichtmal deinen Namen gesagt. Sei artig." Der Bauer starrte seine Hand an, die sich anfühlte, als sei sie gespalten. Sie war mit einem Brotmesser an die Wand genagelt. Der Mann öffnete den Mund, um zu schreien, zu antworten, oder beides, doch Pi hielt ihm den Mund zu, um selber zu sprechen:
"Und sonst so? Wer ist hier noch?"
"Bitte! Sonst ist hier niemand! Die Beiden müssen irgendwie nochmal zurückgekommen sein, ich wusste nicht... AAAhg!!" Pi lenkte ihn ab, indem er die andere Hand mit einer Gabel durchstach, die er wie einen Kleiderhaken umbog und ebenfalls hämmernd an der Wand verankerte. In der Scheune, auf dem gesamten Gehöft waren die beiden nämlich nicht mehr gewesen, obwohl er am Geruch erkannte, dass sie im Heu der Scheune übernachtet hatten. Nur wusste das dieser hier offenbar noch nicht. Ergo konnten sie noch nicht weit sein. Der Bauer begann zu faseln von der Ölifenernte in einem Krater, wo offenbar seine Familie mit seinen Knechten und Mägden arbeiteten, daher sei überhaupt niemand hier und so weiter. Das schien Pi realistisch, hatte er doch Behälter mit dem Öl der Früchte gefunden, das man zu Brennstoff verarbeitete, und die teerig riechenden Rückstände des Pressvorgangs wurden offenbar als Silofutterzutat genutzt. Es ging ihm allerdings auf die Nerven, dass der Bauer immer noch die Kraft und die Nerven hatte, ihn anzulügen. Ein Wächter schlief da in einem Bett. Wächter taten sowas normalerweise nicht ohne das Wissen der Hausbewohner. Geduld, sagte sich Pi, Geduld... .... war nie seine Stärke gewesen, reflektierte er, denn er hatte sein Messer schon in das Herz des Bauern gerammt. Jetzt würde er für ihn nie einen Namen haben.
"Ich denke, ich werde mal bei diesem Krater vorbeischauen", hauchte Pi in das sterbende Ohr. "Und da werde ich deine Frau und deine Tochter durchbürsten, bis ich nicht mehr stehen kann. Oder sie nicht mehr stehen können. Nie mehr. Gute Nacht." Ein Ruck ging durch den Körper, dann blieb er still. Was für ein unfassbar hässliches Hemd, dachte Pi, zog sein Messer aus dem toten Herzen und ging damit in die Gästekammer.
Kapitel 6
Sehr verschieden
Späte Reue ~ Ein frühreifes Kind ~ Ein stereotyper Journalist ~ Die unglaubliche Technik des Täglichen Echos ~ Die FAK-Vollversammlung ~ Ein gefährliches Traumschloss ~ Ein gestohlenes Luftschiff
Rollende, grüne Hügelketten, bewachsen von hohem Gras, dessen Rispen wie sonnenblondierte Haare golden im Wind wogen. Große, runde Findlinge fangen in unregelmäßigen Abständen den Blick. Viele Blumen, einige Büsche, wenige Bäume. Zwei Wanderer.
Die Sonne hatte mittlerweile die letzten Reste der Nachtkälte geschmolzen und die pollenschwangere Luft stellenweise auf annähernd Körpertemperatur erhöht. Es war ein derart herrlicher Tag, dass sich Jianna schwertat, ihre Schwermut zu kultivieren. Lediglich ein wunder, hartnäckig schwärender Punkt schaffte es zuverlässig, sie in ihrem düsteren Stimmungsgraben zu halten: der Wächter. Irgendwann fühlte sie sich so schlecht, dass sie schließlich Pikmo darauf ansprach, obwohl sie sich vorgenommen hatte, genau das
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