Clemens Gleich
Trampel! Die hören uns doch." Pikmo hielt die Nase in den Wind und bemühte seine Nachtsicht, konnte aber rein gar nichts Beunruhigendes erkennen.
"Aber da ist gar nichts", sagte er.
"Natürlich ist da was, du Riesenidiot! Wenn du jetzt das Maul nicht hältst und sie uns finden, dann helf ich ihnen auf der Stelle, euch aufzuknüpfen, kapiert?" Jianna bedeutete Pikmo, Fuzz Folge zu leisten. Sie wollte verhindern, dass sich der Kleine in eine seiner Wutanfallsackgassen hineinsteigerte, von denen sie schon mehrere erlebt hatten. Denn glauben tat sie ihm ebensowenig wie Pikmo, kannte sie doch dessen exzellente Wahrnehmung. Doch als sie sich der ersten Baumgruppe näherten, verformte diese sich auf außerordentliche Art und Weise. Sie wuchs, Äste wurden langsam zu Plattformen und Blätter im Wind zu schrecklich schönen Segeln schwebender Schiffe. Der helle Mond legte ein Grundbild aus den Kontrasten zwischen schwarz und silber, auf denen unzählige Lichter glitzerten wie Feenstaub. Pikmo und Jianna waren baff. Diese Art von Diskontinuität der normalen Raumzeitgeometrie war weit weg von allem, was selbst in der hochtechnisierten Alltagswelt des Imperiums üblich war. Vielleicht hatte das Kind doch recht. Vielleicht waren sie tatsächlich unmöglich weit vom Weg abgekommen.
"Wo sind wir?", fragte Jianna. "Was ist das hier?"
"Das hier ist unsere Mitfahrgelegenheit. Zumindest, wenn ihr jetzt mal auf mich hört und nicht dauernd Kaffeeklatsch macht. Stehenbleiben!"
"Was passiert?", fragte Pikmo alarmiert.
"Wir werden gleich in Stücke gerissen."
"Von was?"
"Von diesem Traumschloss."
"Was für ein...", begann Pikmo, aber da döste die ganze Welt schon nahtlos hinüber in die Traumzeit. Der Wald war weg. An seiner Stelle wartete ein riesiger schlangenartiger Drache auf das Trio. Seine Schuppen sahen aus wie Blätter, seine Hörner wie knorrige Äste, sein Mund war voller Spreißel und seine Augen könnten auch fleischfressende Blüten sein. Als er brüllte, klang das wie das reißende Rauschen eines Waldes während eines Orkans.
Währenddessen woanders: Mürrisch dreinblickende Männer aus der oberen Gefiederhierarchie saßen vor einer Räucherschale voll Kräutern. Sie empfingen einen Pi, der in einer Hand einen Rotweinkelch, in der anderen einen Rehschenkel hielt. Dieser Audienzraum war gleichzeitig der Thronsaal, und daher wunderbar prunkvoll. Als eine separate, über Brücken zu erreichende Plattform wurde er von durchschimmernden, fein geäderten Membranen überdacht; seine Möbel waren allesamt aus Ästen oder Blättern gewachsen und von Blüten verziert. Schwerer, berauschender Rauch aus der Schale lag in der Luft, zwei Harfenspieler sorgten für einen sehr leisen, aber angenehm wahrnehmbaren Töneteppich. Trotz alledem war der Priesterhäuptling nicht erfreut, was vor allem an Pis Auftritt lag, oder, ehrlicher: an Pis Person an sich. Er hatte sich gerade von einem harten Tag erholen wollen, mit Tuba, Kraut und Fellatio, da musste dieser Depp aufkreuzen.
"Das sind harte Anschuldigungen, die du da vorbringst, Pi, die blaue Missgeburt aus Krul. Ich bürge heute für jeden meiner Leute mit Ehre und Leben, doch ich kann nicht für Leute der anderen Stämme bürgen, die hier durchziehen." Pi biss ab, kaute, nahm einen Schluck Wein, setzte sich und antwortete dann:
"Deine Worte sind richtig und dein Vertrauen in deinen Stamm bewundernswert, Kamesemeha, fetter Obergockel von Sansaral. Nie habe ich behauptet, Euch treffe eine Schuld. Ich bin wegen etwas ganz anderem hier, etwas Konkreterem: Wenn meine Beute Hilfe von hier hat, sollte ich auch welche haben, damit sie mir nicht am Ende entkommt."
"Ich kenne deine Mission, und sie ist für unser beider Stämme von größter Wichtigkeit", sagte der Priesterhäuptling theatralisch. "Wir wissen jedoch beide, dass die meisten Leute dich hassen und dass das auf Gegenseitigkeit beruht. Also kann ich dir keinen meiner Soldaten geben. Das Sinnvollste, was ich dir geben kann, ist einer meiner Lotsen. Sie kennen sich hier aus und können dir bei einer Jagd aus der Luft behilflich sein."
"Jagd aus der Luft! Das klingt richtig in meinen spitzen Ohren! Worauf reite ich?"
"Die Sterne stehen auf Krieg in der anderen Welt. Zu diesem großen Anlass stelle ich dir einen meiner Drachen zur Verfügung."
"Einen großen?" Der Priesterhäuptling zog eine Augenbraue hoch. Die Unterstellung, einen großen Drachen zu haben, war ein Kompliment weit jenseits der Grenzen zur Schleimerei. Er
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