Clovis Dardentor
hätte von außen da einlaufen wollen.
Herr Désirandelle warf noch einen letzten, verzweifelten Blick auf die Menschen, die der Abfahrt des Dampfers beiwohnten, und dann längs des Kais von Perpignan bis zu dessen Ende hin, wo der Nachzügler hätte auftauchen können… Mit einem Boote wär’ es ihm ja auch jetzt noch möglich gewesen, den »Argeles« zu erreichen.
»Meine Cabine… meine Cabine!« murmelte Frau Désirandelle mit fast ersterbender Stimme.
Aergerlich über den widrigen Zufall und erbost über das Jammern seiner Frau hätte er diese sammt Herrn Dardentor am liebsten zum Henker gejagt. Das Dringlichste war es jedoch, Frau Désirandelle wieder in ihre Cabine zu schaffen, die sie gar nicht hätte verlassen sollen. Er bemühte sich also, sie auf der Bank, auf der sie halb ohnmächtig lag, emporzurichten. Dann faßte er sie um die Taille und trug sie mit Hilfe einiger Stewardesses vom Oberdeck nach dem Verdeck hinab. Nachdem sie so durch den Speisesalon und bis in ihre Cabine geschleppt worden war, wurde sie zum Theil entkleidet, niedergelegt und in Decken gewickelt, um ihre halb entschwundene Körperwärme wieder herzustellen.
Nach Vollendung dieser beschwerlichen Operation stieg Herr Désirandelle wieder zum Oberdeck hinauf, von wo aus seine wüthenden und drohenden Blicke die Hafendämme des alten Bassins überflogen.
Der Nachzügler war nicht da, und wäre er dagewesen, was hätte er anders thun können, als seine Schuld eingestehend sich an die Brust zu schlagen?
Nachdem der »Argeles« sich gewendet, dampfte er mitten in die Durchfahrt ein, wobei ihm eine Menge Leute, die sich theils auf dem Hafendamme, theils um den Molo Saint-Louis drängten, noch Abschiedsgrüße zuwinkten. Dann fiel er leicht nach Backbord hin ab, um einer Goelette auszuweichen, die eben ins Bassin eingelaufen war. Nach Passierung der Durchfahrt endlich ließ der Kapitän Bugarach so steuern, daß er im Norden vom Wellenbrecher vorüberfuhr und das Cap von Cette mit halber Dampfkraft umschiffte.
Zweites Capitel.
Worin dem Leser die Hauptperson dieser Erzählung wirklich vorgestellt wird.
»Da wären wir nun unterwegs, sagte Marcel Lornans, unterwegs nach…
– Dem Unbekannten, ergänzte Jean Taconnat die Worte des Freundes, nach dem Unbekannten, das man durchstöbern muß, um etwas Neues zu finden, hat Beaudelair gesagt.
– Nach dem Unbekannten, Jean?… Hoffst Du dem bei einer einfachen Fahrt von Frankreich nach Afrika, auf einer Reise von Cette nach Oran zu begegnen?
– Handelte es sich nur um eine Seefahrt von dreißig bis sechsunddreißig Stunden, Marcel, um eine einfache Reise, deren erstes und vielleicht einziges Ziel Oran wäre, dann möchte ich das nicht behaupten. Doch weiß man denn, wenn man abreist, wohin man kommt?…
– Gewiß, Jean, mindestens wenn ein Dampfer Dich dahin befördert, wohin Du Dich begeben sollst, soweit nicht Unfälle auf dem Meere….
– O, wer spricht denn davon, Marcel? unterbrach ihn Jean Taconnat wegwerfenden Tones. Seeunfälle, ein Zusammenstoß, ein Schiffbruch, eine Kesselexplosion und so eine zwanzigjährige Robinsonade auf wüster Insel… ich danke bestens!.. Nein, das Unbekannte – was mir übrigens wenig Kopfschmerzen macht – das ist das X des Lebens, das Geheimniß unsrer Bestimmung, das die Menschen in alten Zeiten auf das Fell der Ziege des Amalthäos gravierten, das im großen Buche von Oben geschrieben steht, welches wir trotz der besten Brillen nicht lesen können; das ist die Urne, worin die Lose des Lebens liegen, die die Hand des Zufalls zieht….
– Halt! Einen Damm vor diese Hochfluth von Metaphern, Jean, rief Marcel Lornans, oder Du machst mich noch seekrank!
– Es ist die geheimnißvolle Decoration, vor der der Vorhang allmählich in die Höhe geht….
– Genug… genug!… Geh’ nur nicht gleich von vornherein so ins Zeug!… Galoppiere nicht auf dem Steckenpferde der Chimären!… Reite nicht gleich mit verhängtem Zügel davon!
– Ah… sieh einmal an!… Jetzt scheint’s mir, verirrst Du Dich ins Reich der Metaphern!
– Ja, Du hast recht, Jean! Nein, wir wollen nüchtern sprechen und die suchen ansehen, wie sie sind. Was wir vorhaben, liegt ja ziemlich klar vor Augen. Wir fahren, jeder mit tausend Francs in der Tasche, jetzt von Cette nach Oran, um dort bei den Siebenten Afrikanischen Jägern einzutreten. Das ist sehr klug und weise, sehr einfach, und von dem Unbekannten mit seinen phantastischen Perspectiven ist darin keine Spur.
–
Weitere Kostenlose Bücher