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Clovis Dardentor

Clovis Dardentor

Titel: Clovis Dardentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Désirandelle, der seine Gattin von dem endlichen
    Eintreffen des so unselig verspäteten Reisegefährten unter-
    richtet hatte, war eben wieder erschienen.
    »Ach, liebster Freund, guten Tag!« rief Clovis Dardentor.
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    »Nun, und Frau Désirandelle? . . . Wo ist denn die vortreff-
    liche Dame? . . . Und der schönste aller Agathoklesse?«
    »Keine Angst, Dardentor«, antwortete Herr Désirandelle,
    »wir hatten uns nicht verspätet und die ›Argèlès‹ brauchte
    nicht ohne uns abzufahren!«
    »Was . . . Vorwürfe, mein Bester?«
    »Verdient hätten Sie sie gewiß! . . . Welche Unruhe haben
    Sie uns bereitet! . . . Wenn wir nun in Oran bei Frau Elissane
    ohne Sie eingetroffen wären?«
    »Oh, ich hab’ auch genug gewettert, Désirandelle . . . Da
    war nur der Kerl, der Pigorin, daran schuld! . . . Er hat mich
    mit seinen Proben von alten Rivesaltesweinen aufgehalten.
    Ich mußte kosten und immer wieder kosten . . . und als ich
    auf dem Kai des alten Bassins ankam, da kam die ›Argèlès‹
    gerade aus der Durchfahrt gedampft. Doch, hier bin ich ja,
    es ist also unnütz, über die Sache ein weiteres Wort zu ver-
    lieren oder die Augen zu rollen wie ein absterbender Lachs
    . . . Das könnte das Schiff nur in stärkeres Rollen bringen. –
    Nun aber, Ihre Frau?«
    »Liegt auf ihrer Schlafstätte . . . ein wenig . . .«
    »Schon jetzt?«
    »Leider schon jetzt«, seufzte Herr Désirandelle, dessen
    Lider zitterten, »und auch ich selbst . . .«
    »Lieber, alter Freund, nehmen Sie einen Rat an«, sagte
    Clovis Dardentor darauf. »Öffnen Sie den Mund nicht wie
    jetzt . . . Halten Sie ihn möglichst geschlossen, sonst hieße
    das den Teufel herausfordern . . .
    »Du lieber Himmel«, stammelte Herr Désirandelle,
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    »Sie haben gut reden! Ach, diese Überfahrt nach Oran! . . .
    Weder Frau Désirandelle noch ich selbst hätte sie gewagt,
    wenn dabei nicht die Zukunft unseres Agathokles im Spiel
    wäre!«
    Es handelte sich in der Tat um die Zukunft des einzi-
    gen Erben der Désirandelles. Jeden Abend kam Clovis Dar-
    dentor, ein alter Freund der Familie, nach dem Haus in der
    Popinièrestraße, um da eine Partie Besique oder Pikett zu
    spielen. Er hat dort jenes Kind fast geboren werden, hatte
    es wachsen sehen . . . wenigstens körperlich, denn die In-
    telligenz war bei ihm hinter dem Wachstum weit zurück-
    geblieben. Agathokles besuchte später ein Lyzeum ebenso
    erfolglos wie die meisten trägen und geistig beschränkten
    Zöglinge. Von einer besonderen Anlage für das oder jenes
    zeigte er keine Spur. Im Leben gar nichts zu tun, erschien
    ihm als das Ideal für den Menschen. Mit dem, was er später
    von seinen Eltern zu erwarten hatte, sah er sich einst im Ge-
    nuß von 12.000 Francs Rente. Das ist ja schon etwas; Herr
    und Frau Désirandelle hatten aber von einer weit rentenrei-
    cheren Zukunft ihres Sohnes geträumt. Sie kannten nämlich
    jene Familie Elissane, die vor ihrer Übersiedlung nach Alge-
    rien in Perpignan gewohnt hatte. Frau Elissane, die Witwe
    eines früheren Kaufmanns und jetzt 50 Jahre alt, erfreute
    sich eines hübschen Wohlstands, dank dem von ihrem Gat-
    ten hinterlassenen Vermögen, der sich nach Zurückziehung
    von all seinen Geschäften in Algerien niedergelassen hatte.
    Die Witwe besaß nur eine Tochter von 20 Jahren. Eine gute
    Partie, das Fräulein Elissane! sagte man bis zum Süden von
    — 57 —
    Oran hier ebenso wie in den Ostpyrenäen oder wenigstens
    in einem gewissen Haus der Popinièrestraße. Was konnte
    da passender erscheinen als eine Heirat zwischen Agatho-
    kles Désirandelle und Louise Elissane?
    Ehe man sich jedoch heiratet, muß man sich kennen,
    und wenn sich Agathokles und Louise auch als Kinder ge-
    sehen hatten, bewahrten sie voneinander doch keine Er-
    innerung mehr. Da nun Oran nicht nach Perpignan kam,
    weil Frau Elissane nicht leicht von der Scholle wegzubrin-
    gen war, mußte Perpignan wohl oder übel nach Oran gehen.
    Das war die Veranlassung zu dieser Reise, obwohl Frau Dé-
    sirandelle alle Zeichen der Seekrankheit schon verspürte,
    wenn sie nur Wellen auf einen Strand laufen sah, und auch
    Herr Désirandelle trotz seiner Versicherungen etwas furcht-
    samer Natur war. Da dachten die Leutchen an Clovis Dar-
    dentor. Dieser Perpignaneser war ein reiseerfahrener Mann,
    der es nicht abschlagen würde, seine Freunde zu begleiten.
    Vielleicht schätzte er den Wert des zu verheiratenden jun-
    gen Mannes recht niedrig; seiner Ansicht nach waren

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