Club Dead
sich nicht sagen, wie die Zeitpläne und Vorhaben unserer Mitbewohner aussahen. Alcide zufolge waren viele der Eigentumswohnungen im Haus als Investition gekauft worden und wurden an Mitglieder der Legislative weitervermietet, von denen die meisten jetzt kurz vor den Feiertagen nicht mehr hier waren. Die Mieter jedoch, die ständig hier wohnten, würden sich heute anders als sonst im Haus bewegen: Nicht nur war Wochenende, es war noch dazu das vorletzte Wochenende vor Weihnachten. Als der Fahrstuhl wieder bei mir ankam, war dessen quietschende Kabine aber Gott sei Dank leer.
Ich raste zurück zur 504, klopfte zweimal und rannte sofort zurück zum Fahrstuhl, um dessen Türen offenzuhalten. Alcide tauchte in der Wohnungstür auf, die Leiche mit den Beinen voran vor sich herschiebend. Er bewegte sich so schnell, wie es einem Mann möglich ist, der einen völlig erstarrten Leichnam schieben muß.
Hier handelte es sich um den kritischsten Punkt des Unterfangens: Alcides Bündel war unverwechselbar eine Leiche, die man in einen Duschvorhang gewickelt hatte. Das Plastik dämpfte den Geruch zwar, in der engen Fahrstuhlkabine konnte man ihm aber nicht entgehen. Unbeschadet gelangten wir ins nächsttiefere Stockwerk, dann noch ein Stockwerk weiter. Im zweiten Stock verließen uns die Nerven. Wir ließen den Fahrstuhl anhalten, dessen Türen sich dann zu unserer unendlichen Erleichterung auf einen leeren Korridor öffneten. Ich sprintete aus der Kabine und eilte hinüber zur Treppenhaustür, die ich dann für Alcide offenhielt. Dann eilte ich ihm voran die Treppe hinunter und spähte durch das Glasfenster der Treppenhaustür hindurch in die Garage.
„Stop!" rief ich leise und hielt warnend die Hand hoch. Eine Frau mittleren Alters und ein Teenager luden Pakete aus dem Kofferraum ihres Toyota, wobei sie in eine wortreiche Auseinandersetzung vertieft waren. Das Mädchen war zu einer Party eingeladen, die die ganze Nacht dauern sollte. Nein, sagte die Mutter.
Sie mußte da hin, all ihre Freunde würden da sein! Nein, sagte die Mutter.
Aber Mama, die anderen Mütter lassen ihre Kinder auch hingehen! Nein, sagte die Mutter.
„Bitte, jetzt nicht so streiten, daß einer von euch die Treppe nimmt!" flehte ich still.
Aber dann stiegen beide in den Aufzug, wobei sie sich nach wie vor ununterbrochen stritten. Ich bekam noch mit, wie die Tochter ihren Strom an Argumenten kurz unterbrach, um festzustellen, im Fahrstuhl stinke es, dann schloß sich die Tür hinter ihr und ihrer Mutter.
„Was ist denn jetzt?" flüsterte Alcide.
„Gar nichts. Ich will bloß abwarten, ob das noch eine Minute lang gut geht."
Nachdem eine weitere Minute lang alles ruhig geblieben war, trat ich eilends hinüber zu Alcides Pick-up, derweil ich hastige Blicke in alle Richtungen warf, um ganz sicher zu gehen, daß wir alleine waren. Der Wachmann, der in seinem kleinen Glashaus am Fußende der Rampe hockte, konnte uns nicht sehen.
Ich schloß die Heckklappe des Pick-up auf; die Ladefläche war Gott sei Dank mit einer Plane geschützt. Dann ließ ich einen letzten prüfenden Blick durch die Garage schweifen, eilte zurück zur Treppenhaustür und klopfte leise. Nach ungefähr einer Sekunde zog ich die Tür auf.
Mit einer Geschwindigkeit, die ich ihm in seinem schwer bepackten Zustand gar nicht zugetraut hätte, kam Alcide durch die Tür geschossen und eilte auf den Pick-up zu. Mit vereinten Kräften gelang es uns, die Leiche auf die Ladefläche zu schieben. Unendlich erleichtert klappten wir die Heckklappe wieder zu und verriegelten sie.
„Kapitel zwei beendet", verkündete Alcide in einer Art, die ich nur als albern hätte bezeichnen können, wäre mein neuer Freund nicht ein so großer, erwachsener Mann gewesen.
Mit einer Leiche im Fahrzeug durch die Straßen einer Stadt zu fahren ist eine Lehrstunde in Paranoia, das kann ich Ihnen versichern. Noch dazu eine Lehrstunde, bei der einem hinterher die Haare zu Berge stehen.
„Beachten Sie um Gottes Willen jede einzelne Verkehrsregel!" rief ich Alcide ins Gedächtnis, ganz verzweifelt darüber, wie angespannt meine Stimme klang.
„Schon gut", gab der knurrend und ebenso angespannt zurück.
„Glauben Sie, die Leute in dem Jimmy da starren zu uns herüber?"
„Nein."
Offenbar war es das beste, wenn ich den Mund hielt. Also tat ich genau das. Wir fuhren zurück auf die Interstate 20, auf der wir nach Jackson gekommen waren, und folgten dieser Straße so lange, bis rings um uns keine Stadt mehr war,
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