Club Dead
Allzweckmesser, und so überließ ich ihm gern die ehrenvolle Aufgabe des Auspackens. Während er an dem Plastik herumschnippelte, hielt ich ihm einen offenen Müllbeutel hin, in den er alles hineinstopfen konnte. Ich versuchte, nicht hinzusehen, aber natürlich tat ich es doch.
Die Leiche sah nicht besser aus als vorhin in der Wohnung.
Auch mit dieser Arbeit waren wir schneller fertig, als ich eigentlich angenommen hatte. Ich hatte mich schon umgedreht, um zum Wagen zurückzugehen, als ich mitbekam, daß Alcide unverwandt stehenblieb, das Gesicht gen Himmel gewandt. Es sah aus, als nähme er alle Gerüche des Waldes in sich auf.
„Heute Nacht ist Vollmond", sagte er, wobei sein ganzer Körper sacht zu beben schien. Als er mich ansah, wirkten seine Augen fremd. Nicht, daß sie ihre Farbe oder Form merklich geändert hätten; es schien mir jedoch so, als blicke mich aus diesen Augen eine völlig andere Person an.
Da stand ich nun allein im Wald mit einem Gefährten, der in eine andere Dimension hinüber gewechselt war. Ich mußte gegen widerstreitende Gefühle ankämpfen und hätte am liebsten geschrien, wäre in Tränen ausgebrochen, einfach fortgerannt. Statt dessen strahlte ich Alcide an und wartete ab. Nach einer langen, angstbesetzten Schweigepause sagte mein neuer Freund: „Wir sollten zurück zum Wagen gehen."
Ich war nur zu froh, wieder auf den Sitz klettern zu können!
„Wie er wohl ums Leben gekommen sein mag?" fragte ich, als es so aussah, als habe Alcide zu seinem normalen Selbst zurückgefunden.
„Ich glaube, jemand hat ihm den Hals umgedreht", erwiderte Alcide. „Ich kann mir nur nicht vorstellen, wie er in die Wohnung gelangte. Ich weiß, daß ich letzte Nacht die Tür abgeschlossen hatte. Da bin ich absolut sicher, und heute morgen war sie auch wieder verschlossen."
Eine Weile versuchte ich, mir auszumalen, was geschehen sein mochte, aber es wollte mir nicht gelingen. Dann fragte ich mich, woran man starb, wenn einem der Hals umgedreht wurde. Diese Frage jedoch, beschloß ich gleich darauf hastig, war nicht wirklich dazu geeignet, um sich just in diesem Moment damit zu befassen.
Auf dem Rückweg machten wir an einem Wal-Mart halt. Jetzt, an einem der Adventswochenenden, drängten sich dort die Massen der Einkaufenden. Wieder einmal schoß mir durch den Kopf, daß ich immer noch kein Geschenk für Bill hatte.
Gleich darauf durchzuckte mich wie ein scharfer Schmerz die Erkenntnis, daß ich vielleicht nie für Bill würde ein Weihnachtsgeschenk kaufen können, jetzt nicht, unter Umständen überhaupt nie.
Alcide und ich benötigten Raumspray, ein Reinigungsmittel für den Teppichboden und einen neuen Duschvorhang. Entschlossen stellte ich meine traurigen Gefühle hintan und machte mich auf die Suche. Alcide überließ es mir, den neuen Duschvorhang auszuwählen, was mir unerwartete Freude bereitete. Mein Gastgeber zahlte bar, so daß es über unseren Besuch in diesem Laden keinerlei Unterlagen geben würde.
Als wir dann wieder im Pick-up hockten, sah ich mir erst einmal meine Fingernägel an und war froh darüber, daß sie einen unversehrten Eindruck machten. Gleich darauf wurde mir peinlich bewußt, daß ich wohl bereits recht abgestumpft war, wenn es mir gelang, in einer solchen Situation an Fingernägel zu denken. Immerhin hatte ich gerade eine Leiche beiseitegeschafft. Ein paar Minuten lang hockte ich da, grübelte über diese Erkenntnis nach und fühlte mich äußerst unwohl in meiner Haut.
Meine Gefühle teilte ich Alcide mit, der nun, da wir ohne unseren stummen Passagier in die Zivilisation zurückgekehrt waren, auch wieder ansprechbar schien.
„Sie haben ihn ja schließlich nicht umgebracht", stellte mein neuer Freund klar. „Oder?"
Ich blickte in die grünen Augen und empfand lediglich mildes Staunen. „Ganz sicher nicht. Sie?"
„Nein", sagte er, und ich konnte seiner Miene entnehmen, daß er diese Frage erwartet hatte. Es war mir nur nicht in den Sinn gekommen, sie zu stellen.
Auch wenn es mir nie in den Sinn gekommen war, Alcide zu verdächtigen: Irgendwer hatte dafür gesorgt, daß aus dem lebenden Werwolf eine Leiche wurde. Zum ersten Mal an diesem Tag machte ich mir Gedanken darüber, wer die Leiche wohl in unsere Flurgarderobe gestopft haben mochte - bis jetzt war ich viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, dafür zu sorgen, daß sie wieder verschwand.
„Wer hat denn Zugang zur Wohnung?" fragte ich.
„Nur mein Vater, die Putzfrau, die sich um die meisten
Weitere Kostenlose Bücher