Club Dead
nicht diejenige sein, die ihr das sagte, und so hielt es wohl auch jede andere Person, die halbwegs bei Verstand war. Diese Frau konnte niemand anderes sein als Betty Joe Pickard, Russel Edgingtons Stellvertreterin. Irgendwie war ihr Outfit aber auch perfekt: Es fehlten weder die weißen Handschuhe noch die Pumps. Eigentlich war das einzige, was fehlte, ein kleiner Hut mit einem halben Schleier! Ich wäre jede Wette eingegangen, daß Betty Joe eine große Verehrerin Mamie Eisenhowers gewesen war.
Hinter dieser wahrhaft beeindruckenden Frau standen ebenfalls mit den Gesichtern zum Tresen zwei Männer, von denen der eine groß war und mir seltsam vertraut vorkam. Sein braunes Haar mit den zahlreichen grauen Strähnchen war lang, aber sorgfältig gekämmt und wirkte wie ein ganz gewöhnlicher Männerhaarschnitt, dem man erlaubt hatte zu wachsen, wohin er will. Die Frisur paßte überhaupt nicht zu dem Anzug, den der Mann trug. Sein Begleiter war ein bißchen kleiner und hatte dickes, zerzaustes, schwarzes Haar, das allerdings auch bereits leicht graumeliert war. Der zweite Mann trug ein Sportsakko, das gut von der Stange eines Warenhauses stammen mochte, und zwar von der Stange, an der die Sonderangebote hingen.
Unter diesem billigen Sakko trug der Mann in einer extra zu diesem Zweck eingenähten Tasche einen Pfahl.
Das hört sich vielleicht jetzt schrecklich an, aber ich muß zugeben, ich zögerte. Wenn ich den Mann aufhielte, dachte ich, würde ich damit mein bisher unerkannt gebliebenes Talent offenbaren und zugleich ja auch meine Identität. Die Folgen einer solchen Enthüllung hingen von dem ab, was Edgington über mich wußte. Offenbar war ihm bekannt, daß Bills Freundin im Merlottes in Bon Temps als Kellnerin arbeitete, aber er wußte nicht, wie diese Freundin hieß. Deswegen hatte ich mich ihm getrost als Sookie Stackhouse vorstellen können. Sollte Russel jedoch wissen, daß Bills Freundin Telepathin war und sollte er dann entdecken, daß das auch auf mich zutraf - wer konnte sagen, was dann passieren würde?
Obwohl: Um ehrlich zu sein, konnte ich mir die Folgen einer solchen Entdeckung durchaus vorstellen.
Während ich noch zögerte, gleichzeitig beschämt und verängstigt, wurde mir die Entscheidung auch schon aus der Hand genommen. Der Mann mit dem schwarzen Haar langte in seinen Mantel, während der Fanatismus, der in seinem Kopf tobte, einen absoluten Höhepunkt erreichte. Der Fanatiker zog tatsächlich einen langen, zugespitzten Stab aus Eschenholz aus der Manteltasche, und dann passierten ziemlich viele Dinge auf einmal.
Ich schrie: „Pflock!" und machte einen Satz nach vorn, erwischte den Fanatiker am Arm und klammerte mich verzweifelt mit beiden Händen daran fest. Die Vampire und ihre Menschen wirbelten herum, um zu sehen, woher die Bedrohung kam, wohingegen die Wandler und Werwölfe sich wohlweislich rings an den Wänden verteilten, um das Feld ganz den Vampiren zu überlassen. Der große Mann mit dem langen Haar schlug auf mich ein, wobei seine riesigen Hände mich schmerzhaft auf Kopf und Schultern trafen, während sein dunkelhaariger Gefährte sich verzweifelt windend versuchte, meinem Griff zu entkommen. Als ihm das nicht gelang, warf er sich von einer Seite auf die andere, um mich abzuschütteln.
Irgendwann in diesem ganzen Durcheinander begegnete mein Blick dem des großen Mannes mit dem langen Haar, und wir erkannten einander: Es war G. Steve Newlin, einstiger Führer der Bruderschaft der Sonne, einer militanten Anti-Vampir-Organisation, deren Filiale in Dallas mehr oder weniger hatte ins Gras beißen müssen, nachdem ich ihr einen Besuch abgestattet hatte. Newlin würde den Leuten hier sicher sagen, wer ich war, davon durfte ich ausgehen, aber im Moment konnte ich da wenig tun, da ich mich ganz auf den Mann mit dem Pfahl konzentrieren mußte. Inzwischen schwankte ich ziemlich auf meinen hohen Absätzen und mußte mich arg abmühen, um nicht hinzufallen - da hatte der potentielle Mörder endlich einen brillanten Einfall: Er verlagerte den Pfahl einfach aus seiner fest umklammerten Rechten in seine freie linke Hand.
Steve Newlin versetzte mir noch einen raschen letzten Stoß in den Rücken und sprintete dann Richtung Ausgang. Ich erhaschte einen kurzen Blick auf die Kreaturen, die in Windeseile unter großem Geheul und Gezwitscher hinter ihm herhechteten, aber dann holte der schwarzhaarige Mann mit der Linken aus und versenkte seinen Pfahl an meiner rechten Seite ins weiche Fleisch
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