Codename Sparta 04 - Das Medusa-Abenteuer
vergrößert das Bild ihres rechten Auges. Auf ihrer inneren Leinwand ist es unglaublich scharf und unverzerrt, der typische Effekt von Striaphan.
Der Mann auf der Terrasse ist Bill, dessen Geruch aus einer so seltsamen Mischung unvertrauter Nuancen besteht. Er blickt genau in ihre Richtung, als wüßte er, daß sie dort ist.
Von ihrem Standpunkt aus scheint er ein leichtes Ziel zu bieten. Aber der Drall jeder Kugel würde sie beim Erreichen der Terrasse in eine weite Spirale ziehen. Auf diese Entfernung könnte nicht einmal der schnellste Computer der Welt genauer als bis auf einen halben Meter vorhersagen, wo die Kugel einschlagen wird.
Nein, Bill soll warten.
Jetzt kommt Kingman aus der Tür. Er trägt sein Gewehr unter dem Arm. Er zuckt leicht zusammen, als er Bill sieht. Ganz offensichtlich will er ihm aus dem Weg gehen, aber es ist zu spät. Sie horcht …
»Rupert, ich hatte wirklich nicht die Absicht …«
»Wenn Sie mich bitte entschuldigen. Ich denke, ich werde es noch einmal mit der Baumratte versuchen. Vielleicht erwische ich sie diesmal.«
Kingman spricht leise, er sieht dem anderen kein einziges Mal in die Augen. Das Gewehr ruht in seiner Ellenbeuge. Es liegt dort so beiläufig, daß man Kingman förmlich ansieht, wie schwer es ihm fällt, den Lauf nicht anzuheben und dieses besondere Rattenexemplar direkt vor ihm über den Haufen zu schießen. Statt dessen geht er an ihm vorbei die Treppe hinunter und überquert die Rasenfläche.
Er hat keine Hunde dabei. Vermutlich findet er sie störend, wenn er Baumratten erlegen will.
Sie lauscht immer noch, hört das Rascheln von Kingmans Gummistiefeln im üppigen Gras, als er genau auf sie zukommt.
Am besten erledigt sie ihn im Wald. Dann zurück zum Haus, um sich nacheinander um die anderen zu kümmern. Ohne Lärm. Jeden für sich. Am besten mit einem Schuß in den Kopf.
Jetzt ist Kingman im Farn, die feuchten Blattwedel durchnässen seine Wollhosen bis zu den Knien. Dann stehen Bäume im Weg, trotzdem kann sie hin und wieder sehen, wie er durch den Nebel schreitet.
Sie horcht immer noch, verfolgt seinen Weg durch den Farn. Sie ist kurz davor, aus ihrer Trance zu erwachen und sich ihm in den Weg zu stellen, als sie etwas hört.
Eine leise Schwingung am Rand ihrer Wahrnehmung, vorsichtige Schritte in einem langsamen, komplizierten Rhythmus.
Ein Reh, vielleicht auch zwei, die leichtfüßig und langsam durch den Wald schreiten und im Unterholz nach Nahrung suchen.
Aber da sind noch andere Schritte, noch langsamere, schwerere. Das ist kein Tier, auch wenn es sich fast so bewegt. Es sind eher die Bewegungen eines berufsmäßigen Jägers.
Kingmans Wildhüter? Unmöglich. Noch vor einer halben Stunde schlief der Alte in seinem Zimmer im Westflügel den Rausch von letzter Nacht aus.
Ein neuer Mitspieler.
Sie merkt sich die Richtung, aus der dieses Geräusch kommt, dann stellt sie das Horchen ein, entspannt sich und macht sich bereit. Auch wenn Sie ihn jetzt nicht mehr hören kann, berücksichtigt sie weiterhin das schrittweise Vordringen des Fremden.
Jetzt taucht Kingman links von ihr auf. Wie ein Elefant stapft er selbstsicher durch das nasse Gestrüpp, weil er diese Wälder schon sein ganzes Leben kennt. Sie bewegt sich nach rechts, um dem Unbekannten in den Rücken zu fallen und ihn beobachten zu können.
Fast wäre sie in ihn hineingelaufen, sie kann gerade noch rechtzeitig anhalten. Wenn sie nicht gewußt hätte, daß er dort ist … Er ist jedenfalls sehr gut. Regungslos drückt sie sich an die rauhe Rinde einer alten, verkrüppelten Eiche.
Dann sieht sie, wen sie vor sich hat. Lockiges, rotes Haar einen Kamelhaarmantel, Handschuhe aus Schweinsleder. Seine Tarnung im herbstlichen Blattwerk ist fast besser als ihre. Sein Geschick überrascht sie nicht.
Der orangefarbene Mann. Auf dem Mars hätte er sie beinahe umgebracht, und dann noch einmal auf Phobos. Damals hatte sie die Gelegenheit gehabt, ihn zu töten, aber aus irgendeiner fehlgeleiteten Regung heraus hatte sie sich zurückgehalten. Obwohl sie wußte, daß er den Arzt getötet hatte, der sie aus dem Sanatorium befreien wollte, obwohl sie schon da vermutete, daß er vielleicht auch ihre Eltern umgebracht hatte.
Sie lehnt sich an ein Polster aus smaragdgrünem Moos am Baumstamm und hält den Atem an. Sie wartet, bis er durch das flache Bachbett kommt. Alle ihre früheren Skrupel haben jetzt an Bedeutung verloren.
Seine Schritte verstummen.
Sie schiebt ihr Gesicht vorsichtig nach vorn
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