Coins - Die Spur des Zorns
in dem Kessel? Er würde es bald wissen!
Nun kam die kritische Phase des Unternehmens: Er musste darauf vertrauen, dass niemand im Kessel eine Taschenlampe mit sich führte, denn gleich würde er die erste Tränengaspatrone in einen der Stutzen halten. Möglicherweise würde er dabei seine Hand direktem Beschuss aussetzen, sollte sich jemand im Kesselinnern unterhalb der Stutzen aufhalten. Fortman spürte das mulmige Gefühl in der Magengrube. Dass er nicht sah, was sich direkt unter ihm tat, behagte ihm ganz und gar nicht. Es half nichts, er musste es riskieren; es gab keine Alternative.
Er setzte sich neben den näher positionierten Stutzen, zog die bereits unten benutzte Tränengaspatrone hervor und lupfte vorsichtig den Putzlappen, bemüht, keinen Lichteinfall auszulösen. Er verharrte einen Augenblick, nichts geschah. Entschlossen drückte er den Knopf, hörte das Zischen des unter hohem Druck austretenden Reizgases. Sein Herz klopfte umso wahrnehmbarer, je mehr von Sekunde zu Sekunde seine Anspannung zunahm. Die nächsten Augenblicke würden darüber entscheiden, ob er die Aktion unverletzt überstünde. Hörte er den Schuss, wäre es um seine Hand bereits geschehen, sollte dieser sein Ziel nicht verfehlt haben. Und dann passierte es tatsächlich!
Es war ein seltsames Geräusch, als im Kesselinnern der Schuss losbrach, gedämpft durch die Masse des Druckbehälters, doch er spürte unter seinem Hintern deutlich den Impuls des aufschlagenden Geschosses. ‚Einzelschuss, Fahrkarte‘ schoss es ihm durch den Kopf, während weitere hell klingende Aufschlaggeräusche im Kesselinnern die chaotische Spur des Querschlägers zeichneten. Dann herrschte Stille. Im Kessel musste es verdammt ungemütlich gewesen sein! ‚Auf Geräuschquelle gezielt, vermutlich keine Taschenlampe‘ war sein nächster Gedanke. Kaum anzunehmen, dass der Schütze sich weiterhin unter dem Stutzen aufhielt und nach oben starrte, denn der Strahl des Reizgases hatte mit Sicherheit dessen Standort eingenebelt. Er hielt den Knopf gedrückt, wartete, bis die Patrone verstummte, tauschte sie rasch gegen eine neue aus. Wieder drang das zischende Geräusch aus dem Rohrstutzen. Die Luft dort unten musste allmählich kaum noch verträglich sein! Kein Schuss fiel, offensichtlich hatte der Querschläger erzieherisch, wenn nicht schlimmer gewirkt. Und schon hielt Fortman die dritte Patrone in den Stutzen. Doch dann geschah das Unerwartete!
„Moment, Professor! Hab‘ ich das richtig verstanden?“
Schöller blickte in die Runde, bemerkte die offenkundige Neugier der im Ruderhaus versammelten Mannschaft. Oder war es Häme? Hatte man seinem Gesicht angesehen, dass dies eine verdammt schlechte Nachricht war? „Wiederholen Sie das noch ‘mal!“
„Hellenkämper teilte eben mit, dass sich das Boarding zeitlich verzögere. Jemand muss uns verpfiffen haben. Die konspirative Aktion ist damit beendet. Heintges ist zum Rapport schon unterwegs nach Potsdam. Steiner soll den Marschbefehl für den Helikopter begründen. Er geht davon aus, dass er kurz nach Dienstbeginn aus Sassnitz abgerufen wird. Danach geht das Geeiere erst richtig los! Hellenkämper ist der Ansicht, vor ein, zwei Stunden fiele keine Entscheidung. Und dann müsste der Helikopter erst einmal bemannt werden und hier eintreffen, also noch ‘ne Stunde.“
„Na prima! Noch was?“
„Nichts für den Äther. Macht ihr Fortschritte?“
„Der Inder ist Fortman durch die Lappen gegangen. Er sucht ihn und einen Kasachen …“
„Der Inder ist tot!“
„Wie bitte?“
„Er ist tot. Ins Wasser gesprungen, wurde zwischen den Schiffen zerquetscht. Grausiges Spektakel …“
„Mann, das erfahre ich erst jetzt? Das muss Fortman doch wissen! Hier fiel vorhin ein Schuss …“
„Ich weiß …“
„Wie, Sie wissen? Darf man fragen, woher?“
„Er war nicht zu überhören. Der Schuss galt dem Maschinisten. Der ist ebenfalls tot. Kopfschuss. Sie sagten vorhin, die gesamte Mannschaft sei im Ruderhaus versammelt. Sie sollten dem Kapitän auf den Zahn fühlen! Auf seinem Dampfer rennt offensichtlich einer mit ‘nem Gewehr rum, den er euch nicht genannt hat …“
„Doch, hat er. Es handelt sich um einen Kasachen, Leibwächter des Inders. Fortman sucht ihn.“ Schöller gab sich Mühe, nach außen hin souverän zu wirken; er fürchtete, dass man ihm die Beunruhigung ansah – keine Vertrauen erweckende Basis, den wilden Haufen auf ihre Chance Wartender unter Kontrolle zu halten.
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