Colin Cotterill
errichtet und halbierte Baumstämme als Bänke hineingestel t. Unter den Schülern
befanden
sich
sowohl
fünfjährige
Waisen
als
auch
fünfundsechzigjährige Großmütter. Sie hatten weder Bücher noch Stifte, und als Wandtafeln dienten die Rückseiten alter Reklameschilder aus der Zeit der Monarchie. Sie lernten viel eicht nicht al zu viel, dafür hatten sie einen Riesenspaß.
Der Abt stand auf einer klapprigen Bambusleiter und strich die Stupa. Sein Gewand klemmte zwischen seinen Schenkeln wie eine orangefarbene Windel. Er verwandelte die schmutzig-graue Tope in eine hel blaue Geburtstagstorte.
»Müsste die nicht eigentlich weiß gestrichen werden?«, fragte Siri.
Aus irgendeinem Grund gab es seit Monaten nur noch Swimmingpool-Blau, eine Farbe, die al mählich zum Symbol der neuen Regierung wurde. Der Flughafen ging bereits nahtlos in den Himmel über. Civilai meinte, langfristig verfolge das Politbüro den Plan, ganz Laos Wattay-blau zu streichen, damit Astronauten es vom Weltraum aus besser erkennen könnten.
»Und wenn sie schwarz wäre. Solange sie vor Wind und Wetter geschützt ist, stört mich das nicht.« Der Abt hängte die Farbdose über einen Elefantenrüssel aus Zement und kam die Leiter herunter. Er blickte den Besucher über seine Bril e hinweg an. »Sie kommen mir irgendwie bekannt vor.«
»Das wil ich doch hoffen. Wir waren vor ungefähr zweihundert Jahren zusammen in Pakxe.«
»Ja, ist es denn die… Siri, stimmt’s?« Siri lächelte und wol te sich verbeugen, aber der alte Abt ergriff seine Hand und schüttelte sie heftig. »Du hast dich kein bisschen verändert.«
»Ach ja? Sol das heißen, ich war schon damals ein saftloser, buckliger alter Knacker?«
»Wer weiß schon, was wir damals waren? Du standest vor der Frage, ob du deiner wunderschönen Frau nach Vietnam folgen sol test, wenn ich mich recht entsinne. Und ich wusste nicht, ob ich für die Radnationalmannschaft bei den Asienspielen antreten oder mit meiner großen Liebe nach Australien gehen sol te.«
»Wofür hast du dich entschieden?«
»Für keins von beidem. Ich war so verwirrt, dass ich mich in den Vat Sokpaluang zurückgezogen habe, und da bin ich noch heute.«
Sie lachten.
»Wie um al es in der Welt hast du mich gefunden?«
»Ach, ich weiß schon seit einer ganzen Weile, wo du steckst. Einer der Erzieher aus dem Jugendlager hat es mir verraten.«
»Und wie geht es deiner wunderschönen Frau, Siri?«
»Die ist vor ein paar Jahren gestorben. Leider.«
»Ah. Das wundert mich nicht. Der Dschungel ist nichts für eine Frau.«
»Schon gar nicht, wenn jemand eine Granate nach ihr wirft.«
»Wohl wahr. Trotzdem ist es keine Schande, im Kampf zu fal en.«
»Von wegen Kampf. Sie lag im Bett und schlief. Ich war anderweitig unterwegs. Da warf jemand eine Granate in ihr Zelt. Der Täter wurde nie gefasst.«
Siri war erstaunt, wie leicht ihm diese Sätze über die Lippen kamen. Er hatte diese Geschichte elf Jahre lang für sich behalten; jetzt plötzlich platzte er damit heraus gegenüber einem Mönch, den er kaum kannte. Die Katholiken hatten recht. Es war heilsam, sich einem Geistlichen anzuvertrauen. Auch wenn die Katholiken das vermutlich diskreter handhabten als die Laoten.
»Ich nehme an, sie war für dich bestimmt.«
Sie setzten sich auf eine Bank und tauschten Erinnerungen an ihr gemeinsames Jahr im Jugendlager aus. Aber Siri musste zur Sache kommen.
»Vor ein paar Tagen haben sie dir eine junge Frau gebracht, die sich die Pulsadern aufgeschnitten hatte.«
»Ja, stimmt. Woher weißt du das?«
»Ich bin der amtliche Leichenbeschauer.«
»Ach was! Gratuliere.«
»Und ich fürchte, ich muss sie exhumieren.«
»Aber das geht nicht!«
Siri zog ein Blatt Papier aus seiner Tasche, das er geschrieben, gestempelt und in Richter Haengs Namen unterzeichnet hatte. »Ich habe hier einen richterlichen Beschluss…«
»Nein. Ich bezweifle nicht, dass du eine Genehmigung dafür hast. Trotzdem kannst du sie nicht exhumieren. Wir haben sie nämlich noch gar nicht begraben.«
»Aber sie ist seit vier Tagen tot.«
»Ich weiß. Normalerweise hätten wir sie sofort beerdigt. Aber dieser Fal gestaltet sich ein wenig komplizierter.«
»Inwiefern?«
»Sie hat eine Schwester.«
»Und?«
»Die beiden sind zusammen aus dem Norden hierhergekommen. Sie wil ihre Schwester unter keinen Umständen hier begraben lassen. Und jetzt versucht sie, das nötige Geld zusammenzukratzen, um den Leichnam zu ihrer Familie nach Xam
Weitere Kostenlose Bücher