Colin-Saga 03 - Die Erben des Imperiums
langsamer vorankam als geplant, sollte Sean in spätestens vier Tagen wieder nördlich des Mortan sein. Grimmig war er sich des Risikos bewusst, dass er dabei einging. Die Bauern, die in diesem Tal lebten, waren beim Einmarsch der Heiligen Heerscharen evakuiert worden, und die Truppen des ›Tempels‹ hatte bereits alles in ihren Besitz gebracht, was in den aufgegebenen Höfen als Vorrat nutzbar war. Pack-Nioharqs hatten sie bis zu ihrer Stellung begleitet, doch man würde sie zurückschicken müssen, sobald die Kolonne den Sumpf erreichte. Von diesem Moment an würde Seans Infanterie sämtliche Vorräte auf dem Rücken transportieren müssen – einschließlich der Munition. Mehr Vorräte als für höchstens eine Woche ließ sich so nicht mitführen. Und das bedeutete: Sollte sein Plan, Ortak zu überraschen, nicht glücken, dann wären fünfundzwanzigtausend verhungernde Soldaten zwischen Erastor und der anrückenden Verstärkung der Garde eingekesselt – ein wirklich mächtiges Problem erwartete ihn dann.
Wenigstens arbeitete Ortak bisher nach Kräften mit. Der Oberhauptmann war sich sicher, dass das Terrain südlich des Flusses unpassierbar war, und er hatte zu wenig Bewaffnete, um auch nur einen an den für sie vorgesehenen Positionen entbehren zu können. Er hatte Vorposten im Osten von Erastor aufgestellt, doch die waren den Brücken relativ nahe. Es fiel Sean immer noch ein wenig schwer, sich an die Einschränkungen zu gewöhnen, mit denen eine prä-technisierte Gesellschaft zu leben hatte, und daher fühlte Sean sich in gewisser Weise ungeschützt und viel zu exponiert. Seine Kolonne war kaum fünfzig Kilometer Luftlinie von Ortaks Stellung entfernt, und es war schwer zu glauben, dass Ortak nicht einmal Vermutungen anzustellen vermochte, was der Gegner gerade tat. Dennoch: Wie der Oberhauptmann seine Leute einsetzte und die Berichte, die von Sandys alles belauschenden Fernsonden eintrafen, schienen genau das zu bestätigen.
Der Gedanke brachte Sean dazu, matt und leise in sich hineinzulachen. So mies, wie er und seine Truppen sich hier auch fühlen mochten, sie hatten die tödlichste Waffe dabei, die eine Auseinandersetzung kannte: das Überraschungsmoment. Und wenn er, Sean MacIntyre, schon jetzt und hier dabei war, Scheiße zu bauen, dann zumindest nicht, weil die Garde ihn überrascht hätte.
Noch einmal kraulte er sein Branahlk, schwang sich wieder in den Sattel und ließ sein Reittier die Kolonne entlang zu deren vordersten Rotten traben.
Vater Stomald betrat das Kommandozelt und wartete. Engel Harry war allein, sie starrte die Karte an. Sein Eintreten schien unbemerkt geblieben, und des Engels Schultern wirkten sehr angespannt.
Der junge Priester zögerte. Ein Teil von ihm wollte vermeiden, sie zu stören, doch ein anderer drängte ihn, näher zu treten. Ein Engel bedurfte nicht des Trostes eines Sterblichen. Stomald war sich indes einer Schuld bewusst, die er mehr und mehr auf sich lud: Immer weniger dachte er von ihr in der Art und Weise, wie seine Religion dies von ihm erwartete.
Die Engel hatten beschlossen, ihre Pflichten untereinander aufzuteilen, und die Aufgaben, die jetzt Engel Harry zugefallen waren, sorgten dafür, dass sie fast ständig mit Stomald zu tun hatte. Die Schlachten dieses Krieges zu kämpfen, dem keiner von ihnen sich hatte entziehen können, oblag Erlaucht Sean und Erlaucht Tamman. Für all jene zu sorgen, die die Folgen der geschlagenen Schlachten zu tragen hatten, war hingegen Stomalds Aufgabe. Er war derjenige, der diesen Krieg angestoßen hatte, waren seine ursprünglichen Absichten vielleicht auch ganz andere gewesen. Er war daher derjenige, der die Bürde zu tragen hatte, sich um die Opfer zu kümmern. Er hatte diese Bürde akzeptiert, denn sich um Opfer zu kümmern war Teil seiner priesterlichen Pflichten: Sein Glaube hätte ihn ohnehin dazu angehalten, dies zu tun, selbst wenn sich ihm die Möglichkeit eröffnet hätte, dieser Bürde zu entkommen. Doch er musste sich nicht allein den harten Anforderungen stellen, die mit diesen Pflichten kamen, denn Stomald hatte – so wie Erlaucht Sean und Erlaucht Tamman Tibold und den Engel Sandy zu ihrer Unterstützung hatten – Engel Harry. Wie schwer auch die Bürde sein mochte, die Stomald zu tragen hatte, was der Krieg mit all seinen Schrecken ihn auch kostete – sie war immer da, immer bereit, ihn an ihrer unermesslichen Stärke teilhaben zu lassen und ihn aufzufangen, wann immer er strauchelte. Und das, so
Weitere Kostenlose Bücher